Die Werbeschallplatte als akustisches Dokument. Ein Kommentar zur Werbeforschung

Eine doppelte Nische: Gilt schon Werbung an sich als „uneigentlicher Gegenstand“ der Forschung, so stellen Werbeschallplatten selbst innerhalb dieser Nische noch ein Kuriosum dar. Solveig Ottmann mit einem spannenden Einblick in die Geschichte eines bisher übersehenen Mediums.

Akustische Werbung, speziell Radiowerbung, ist bekannt und nichts Ungewöhnliches – auch in der Werbeforschung ist diese einigermaßen beachtet worden. Bei der Werbeschallplatte aber handelt es sich um ein Werbemittel, das wenig Aufmerksamkeit genießt und unbekannt ist. Dabei kamen Schallplatten schon um die Jahrhundertwende zum werberischen Einsatz, vor allem durch Plattenfirmen selbst.¹ In den 1950er Jahren wurde die Schallplatte zum breiter eingesetzten Werbemittel: Neben der Nutzung durch große Firmen bzw. Marken wie zum Beispiel Bahlsen, Coca-Cola, Kaffee Hag, Langnese, Maggi, Persil, Salamander (Lurchi), Uhu oder Sarotti findet sich bspw. auch Wahlwerbung oder aufklärende Werbung. Hochphase der Platten sind augenscheinlich die 1950er und 1960er Jahre, es liegen aber Werbeschallplatten bis in die 1990er Jahre vor. „Werbeplatten wurden als Wurfsendungen, als Beilagen zu Zeitschriften, als Zugabe zu Produkten oder als Werbegeschenk für besondere Berufsgruppen verteilt.“² Die Schallplatten sind von ganz unterschiedlicher Gestalt und Größe: Es gibt Schallpostkarten, Verpackungsschallplatten, Schallfolien oder Single-Platten (vgl. Abb. 1, Abb. 2).

Abb. 1 und 2 | Bunte Welt der Werbung: Beispiele aus der Sammlung Spremberg im Regensburger Archiv für Werbeforschung. Quelle: Multimediazentrum, Universitätsbibliothek Regensburg.

Nichtsdestotrotz sind die Werbeschallplatten im großen Verbund der werberischen Maßnahmen quantitativ eher als Randerscheinung zu betrachten, die eine spezielle Nische besetzten. Das ist sicherlich ein Grund dafür, weshalb die Platten bisher weitgehend unerforscht sind. Aber auch noch zwei weitere zentrale Gründe scheinen verantwortlich dafür zu sein. Zunächst: Werbung ist innerhalb der medienwissenschaftlichen Forschung bis auf nennenswerte Ausnahmen überhaupt eher als randständiger Forschungsbereich zu erachten. So weisen Tino Meitz und Guido Zurstiege 2012 darauf hin, dass Werbung als der „uneigentliche Gegenstand“ der Beobachtung im Beobachtungsfeld der Medien- und Kommunikationswissenschaft gilt; ein Gegenstand, der „gewissermaßen in Kauf genommen werden muss, wenn man sich mit Medien ernsthaft befasst“. Entsprechend habe die Medienwissenschaft mit ihren Wurzeln in den Philologien sowie Geschichts- und Kulturwissenschaften die Werbung traditionell nicht unbedingt im Blick im Fokus – auch weil, wie Meitz und Zurstiege konstatieren, die Werbung „als kulturhistorische Quelle“ ein „sperriger Untersuchungsgegenstand“ ist, „da sie sich offensiv zur Täuschung und zur Verschleierung bekennt“.³ Als weiterer Grund wäre zu nennen, dass Werbung, salopp ausgedrückt, einen schlechten Ruf hat – nicht nur in der Forschung, sondern auch im nichtwissenschaftlichen Alltag.

Das lässt sich auch in ihrer Historie nachweisen: Die Geschichte der systematisierten, modernen Werbung setzt ungefähr mit der Industrialisierung und der beginnenden Massenproduktion von Waren ein. Bis dahin sprach man noch von ‚Reklame‘. Analog zu den ökonomischen Entwicklungsprozessen entwickelte sich ‚Reklame‘ zu ‚Werbung‘ weiter und schließlich zum ‚Marketing‘ und damit zu einem unverzichtbaren strategischen Instrument der Wirtschaft. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts verbreitete sich Werbung inflationär, und ganze Städte wurden zum Werbeträger transformiert, wogegen sich Widerstand regte. Über die ökonomische Notwendigkeit und die teils harsche Kritik hinaus wurde der Werbung allerdings selten größere historische und kulturelle Bedeutung zugesprochen: Werbung war immer auch eine Kommunikationsform mit kurzer Lebensdauer, zum Wegwerfen oder Überkleben konzipiert und damit auch nicht zur (systematischen) Archivierung prädestiniert. Sperrig als Untersuchungsgegenstand ist Werbung also auch insofern, als es durchaus häufig problematisch ist, einen sinnvollen Korpus zu finden, der eine ausführliche Betrachtung ermöglicht. 

Fragestellungen & Quellenlage

Liegt ausreichend Quellenmaterial vor, stellt sich dennoch die Frage, was untersucht werden soll und für welche Fragen Werbung als Quelle dienen kann, wobei sich die Frage stellt, was Werbung ‚dokumentiert‘. Einerseits lässt sich Werbung als ‚Spiegel der Gesellschaft‘ betrachten. Andererseits stellt Werbung Diskurse, Wünsche und Bedürfnisse gern überhöht und überspitzt dar oder beabsichtigt diese erst zu erzeugen. Werbeerzeugnisse können also nicht als neutrale, dokumentarische Produkte verstanden werden, da Werbung immer strategische, zielgerichtete Kommunikation mit persuasiver Absicht ist und kein ‚Abbild‘ von ‚etwas‘. Was dieses ‚Etwas‘ ist, stellt dabei die Gretchenfrage der Werbeforschung dar, denn Werbung ist nichtsdestotrotz als soziokulturell relevantes Erzeugnis zu verstehen, wie z.B. Coccia 2017 darlegt, wenn er auf sehr philosophische Weise ausführt, dass Werbung der moralische Diskurs der Gegenwart sei. Und: Werbung ist trotzdem, oder auch gerade deshalb, als Dokument interessant und relevant, da sich an den überspitzten und überzogenen Darstellungen bei entsprechender Sorgfalt die darunterliegenden gesellschaftlichen und vor allem ökonomischen Mentalitäten herausschälen lassen.

Und schließlich: Medien ohne Werbung sind zwar prinzipiell denkbar, Werbung ohne Medien allerdings bis auf zu vernachlässigende Ausnahmen nicht, weshalb die medienwissenschaftliche Erforschung der Werbung eigentlich naheliegend und vor allem fruchtbar ist. Zeigen lässt sich dies exemplarisch an der Werbeschallplatte: Werden diese als (akustische) Dokumente verstanden, lassen sich daran Anhaltspunkte für technische und medienhistorische Faktoren ablesen, die sich auf die strategisch-inhaltliche Gestaltung der Werbung sowie auf deren Distribution und Rezeption auswirken. 

Abb. 3, 4 und 5 | Im Multimediazentrum der UB Regensburg werden die Werbeschallplatten digitalisiert. (Abb. 3 und 4: Sammlung Spremberg; Abb 5: Sammlung Schulze). Quelle: Multimediazentrum, Universitätsbibliothek Regensburg.

Die Quellenlage zur Werbeschallplatte ist zudem erfreulich gut. Im Regensburger Archiv für Werbeforschung (RAW) sind derzeit 650 Werbeschallplatten volldigitalisiert und katalogisiert vorhanden, die der Sammler Christian Spremberg im Jahr 2007 zur Verfügung gestellt hat. Knapp 800 Platten eines weiteren Sammlers befinden sich derzeit im Digitalisierungs- und Bearbeitungsprozess. Hauptbestandteil des Archivs ist das Historische Werbefunkarchiv (HWA), in dem rund 80.000 Hörfunkspots aus den Jahren 1948 bis 1987 archiviert, digitalisiert und zur Nutzung bereitgehalten sind. Dabei sind Spots unterschiedlichster Marken wie Alete, Bärenmarke, Caro, Maggi, Persil, Thomy, Sarotti, Zentis und viele andere vertreten (vgl. Abb 3, Abb. 4, Abb. 5).

Einschränkend zu erwähnen ist allerdings, dass die Werbeschallplatten-Sammlung nicht systematisch entstanden ist, sondern dem Interesse und der Sammelleidenschaft verschiedener Personen geschuldet ist. Anspruch auf Vollständigkeit ist hier also keineswegs gegeben. Häufig sind relevante Metadaten und Hintergründe nicht vorhanden. Weiterhin müsste die Recherche auch international ausgedehnt werden. Nichtsdestotrotz steht hier umfangreiches Quellenmaterial vor, das darauf wartet, systematisch untersucht zu werden (vgl. Abb. 6, Abb. 7., Abb. 8).

Abb. 6, 7 und 8 | Hier gibt es noch viel zu entdecken. Gabriele Gerber koordiniert das Regensburger Archiv für Werbeforschung. Quelle: Multimediazentrum, Universitätsbibliothek Regensburg.

Werbekommunikation

Werbeschallplatten sind Schallplatten, die Werbung enthalten, gleichzeitig aber auch selbst Werbung sind. Das werberische Moment gestaltet sich vielfältig: Produkt-, Marken- oder Imagewerbung oder auch Kundenbindung kann angestrebt sein. Interessant ist dabei, wie unterschiedlich und häufig unterschwellig sich die Werbestrategien darstellen, um genannte Ziele zu erreichen; nicht selten erschließt sich erst durch genaues Hinhören und die genauere Untersuchung, was und wie ge-/beworben wird. Beim Durchhören vieler Werbeschallplatten fällt schnell auf, wie sorgfältig das jeweils angestrebte Marketingziel die spezifisch medialen Gegebenheiten des Werbemittels auszunutzen sucht. Zudem ist festzuhalten, dass sämtliche Bestandteile der Schallplatten – also akustischer Inhalt, Etikett und Cover – im Verbund zu betrachten sind und diese somit als audiovisuelles Werbemittel zu verstehen sind.

https://www.youtube.com/watch?v=ggMofWTIt-E
Das kleine Haus im Wiesengrün auf Youtube – hier allerdings leider ohne die Werbebotschaft.

Exemplarisch veranschaulichen lässt sich dies am Beispiel der Schallpostkarte der Landesbausparkasse Westfalen mit dem Titel Ein kleines Haus im Wiesengrün aus den 1950ern. Akustischer Hauptbestandteil ist der Schlager „Ein kleines Haus im Wiesengrün“, in dem besagtes Haus im Grünen besungen wird: „Ein kleines Haus im Wiesengrün wo viele bunte Blumen blüh’n, das ist das Schönste auf der Welt. Ein kleines Haus für uns allein, das wünsch ich mir zum glücklich sein […]“ (00:00:00‒00:00:24). Zweiter akustischer Bestandteil der Platte ist die konkrete Werbebotschaft, wenn von 00:00:51‒00:01:27 der Sprecher verkündet:

Abb. 9 | Das Objekt der Begierde: Vorderseite der Schallpostkarte Ein kleines Haus im Wiesengrün der Landesbausparkasse (1950er). Quelle: Regensburger Archiv für Werbeforschung, Regensburg (RAW), Spremberg-Sammlung, R-Nummer: 11733.

„Ja ‒ ein eigenes Haus, das ist was Schönes. Man braucht das heute in unserer schnellen und hastigen Zeit. Eine Zuflucht, zum Ausruhen und Erholen – für sich, die Frau und die Kinder. Zehntausende solcher glücklichen Inseln entstehen jahrein, jahraus mit Hilfe der öffentlichen Bausparkasse. Auch Sie erreichen dieses Ziel, wenn Sie sich bald unserem großen und leistungsfähigen Gemeinschaftswerk anschließen. Wenden Sie sich vertrauensvoll an Ihre öffentliche Bausparkasse: die Landesbausparkasse.“

Die musikalische Färbung, der Text und die akustische Anmutung insgesamt lassen den Hörer unmittelbar die Entstehungszeit erkennen, und es wird sofort die gesellschaftshistorische Kerbe deutlich, in die die Schallplatte schlägt. Die Botschaft der Schallpostkarte wird durch die Gestaltung der Vorderseite unterstützt, auf der das Objekt der Begierde abgebildet ist: das kleine Eigenheim (vgl. Abb. 9). 

Anzumerken ist, dass das beworbene Produkt eigentlich nicht das Eigenheim, sondern der Bausparvertrag ist. Das mit dem Bausparvertrag finanzierbare Eigenheim – als Topos und tiefverankerter Herzenswunsch – ist in Bild und Ton jedoch deutlich leichter darstellbar, wird zum Hauptakteur und steht stellvertretend für die Nachkriegszeit. Wie die Schallpostkarte zu benutzen ist, erklärt die Rückseite der Schallpostkarte selbst (vgl. Abb. 10):

Abb. 10 | Rückseite der Schallpostkarte Ein kleines Haus im Wiesengrün der Landesbausparkasse (1950er). Quelle: Regensburger Archiv für Werbeforschung, Regensburg (RAW), Spremberg-Sammlung, R-Nummer: 11733.

„Lieber Eigenheimfreund! Legen Sie diese Schallplatte – es ist wirklich eine – in Ihren Plattenspieler ein. Lassen Sie sich von dem ‚kleinen Haus im Wiesengrün‘ und von der Melodie dazu anregen, einen langgehegten Wunsch bald zu verwirklichen. Wir helfen Ihnen dabei.“

Um die direkte Ansprache des Rezipienten einordnen zu können, ist es für die Analyse hilfreich, Konzepte des Direktmarketings heranzuziehen. Sowohl im Rahmen dieser Handlungsanweisung als auch auf dem Cover wird der Rezipient direkt angesprochen. Zudem ist ein Feld für einen Stempel – hier wohl von der LBS-Vertretung, die die Platte ausgegeben hat – vorhanden, und auf der anderen Seite ist die Möglichkeit zur Rückantwort integriert: Mit der Antwortpostkarte, die herausgeschnitten werden kann, wird dem interessierten, potentiellen Kunde ermöglicht, um weitere, personalisierte Informationen zu bitten. Solch unadressierte Werbesendungen dienen innerhalb der Strategien des Direktmarketings vor allem der Neukundengewinnung. Hier kommt eine Vorgehensweise zum Einsatz, für die es den akustischen Bestandteil eigentlich nicht bräuchte, die Hülle und die Postkarte selbst könnten ausreichende Informationen bereitstellen. Der Einsatz der Akustik – also des speziellen Liedes und der fast schon intimen, freundschaftlichen und direkten Ansprache durch den Sprecher – macht aber den speziellen Reiz und den nicht zu verachtenden Mehrwert des Werbemittels und der damit verbundenen Werbestrategie aus. Werbeschallplatten erlauben es also durch gezielte Stilmittel, den Hörer und damit den (potentiellen) Kunden direkt anzusprechen und so eine (vermeintliche) individuelle Kommunikation entstehen zu lassen. Individualkommunikation ist eine der Grundlagen des Direktmarketings, das das Ziel verfolgt, „eine individuelle Wechselbeziehung zwischen Werbetreibenden und Umworbenen [zu] ermöglichen“.¹⁰

Die Werbeschallplatte schließt hier eine Lücke in der Marketingstrategie: In der vertrauten Umgebung der eigenen vier Wände rezipiert, wird dem Kunden mit ausreichender Zeit – es liegen Platten mit über 13 Minuten Laufzeit vor – zunächst Unterhaltung, dann Information und letztlich ein Kaufanreiz geboten, und zwar möglichst persönlich oder interaktiv: eine Vorgehensweise, die in die Entwicklung von Marketingstrategien dieser Zeit passt. Schon in den 1950ern konzentrierte sich die Werbebranche stärker darauf, „Welten zu inszenieren, in denen um das Produkt herum Geschichten erzählt“ und nicht mehr so sehr einzelne Produkte vermarktet werden: „optimistische Geschichten, in denen alles möglich und machbar ist“.¹¹ Nach den Entbehrungen des Krieges und bevor das Wirtschaftswunder voll zuschlug, versuchten die Werbetreibenden die Kunden dort abzuholen, wo sie waren: zuhause, träumend von besseren Zeiten und von der aufkeimenden Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung zehrend. In den 1960ern, nachdem die Grundbedürfnisse der Bevölkerung durch die 1950er hindurch größtenteils gesättigt wurden, kam es nun zu einem Rückgang der Verkaufszahlen. Karin Knop kommentiert: „Werbung war jetzt wirklich gefordert und musste etwas bewirken.“ Werbeetats wurden erhöht, die Werbeplanung noch professioneller und weiter verfeinert, und die Markt- und Produktforschung boomte: „Für die sechziger Jahre kann somit der Übergang von der Werbung zum Marketing konstatiert werden.“¹² Es galt nun, Marken ein Image zu geben.¹³ Entsprechend kann man auch an gewissen Quantitäten von beworbenen Produkten in bestimmten Zeitspannen am Archiv schon Zusammenhänge erkennen: Aus der unmittelbaren Nachkriegszeit stammt auffällig viel Werbung für Waschmittel und vergleichbare Produkte, während man in den 1960ern vermehrt Werbung für Kaffee und andere Genussmittel oder Luxusgüter findet.

Abb. 11 und 12 | Cover der Werbeschallplatte von B&O (1965): Was ist HiFi? Die Eroberung einer technischen Wunderwelt. Mit vielen Erläuterungen. Herausgegeben von den Toningenieuren des B&O Akustikstudios. Regensburger Archiv für Werbeforschung, Regensburg (RAW), Spremberg-Sammlung, R-Nummer: 11592, Single 45.

Eine Schallplatte mit dem Titel Was ist Hi-Fi? Die Eroberung einer technischen Wunderwelt von Bang & Olufsen (B&O) ist ein anschauliches Beispiel dafür (vgl. Abb. 11 und Abb. 12).¹⁴ Diese Platte weist Seite A und B auf und erzählt die Geschichte der Entwicklung der Tonspeicherung und -wiedergabe von Edisons Phonograph bis hin zu Hi-Fi. Natürlich – wir haben es mit Werbung zu tun – geht es letztlich darum, die neuste B&O-Technologie anzupreisen und den Hörer zum Kauf einer Hi-Fi-Stereo-Anlage von B&O anzuregen. Erst nachdem die komplette Seite A mit einer Laufzeit von 4:10 und über die Hälfte der sechseinhalb Minuten umfassenden Seite B die Geschichte in Form eines Gesprächs zwischen drei Sprechern, von denen zwei Toningenieure von B&O sind, auf unterhaltsame Weise erläutert hat, kommt es endlich zur expliziten Werbebotschaft:

„[Sprecher C:] Als Toningenieur der weltbekannten dänischen Firma Bang und Olufsen hab’ ich auch Sie, zusammen mit meinem Kollegen, ganz zwanglos und neutral informiert. Aber dies hier ist natürlich auch eine Werbeschallplatte, auf der wir uns zu guter Letzt für unser B-und-O-Hi-Fi-Stereo-Programm einsetzen wollen. […] [Sprecher A:] Machen Sie doch mal eine Probe aufs Exempel! Gehen Sie zu dem Fachhändler, der Ihnen diese Schallplatte überreicht hat; der wird Ihnen gern und für Sie natürlich völlig unverbindlich das Klangwunder einer B-und-O-Hi-Fi-Stereoanlage demonstrieren. […]“ (Seite B, 04:03‒04:56).

Die B&O-Platte ist somit zunächst als narrative Imagewerbung und erst im zweiten Schritt als Produktwerbung zu werten, was zur Art des Produktes passt: Niemand braucht eine B&O-Anlage, um seine täglichen Bedürfnisse zu befriedigen; es handelt sich hier um ein hedonistisches Produkt, einen Luxus-Artikel, der ein bestimmtes Image braucht. 

Werbeschallplatten als (audiovisuelle) Dokumente

Abb. 13 | Werbeschallplatte der Internationalen Funkausstellung in Berlin (1985), Sammlung Schulze. Quelle: Multimediazentrum, Universitätsbibliothek Regensburg.

Die Forschung zu diesem speziellen Werbemittel steht noch am Anfang. Bisher erlangte Kenntnisse durch erste medienhistorische Einordnung, medial-werbekommunikative Einbettungund erste exemplarische Analysen aber lassen den Schluss zu, dass diese Schallplatten als aussagekräftige Dokumente betrachtet werden können.

Zum einen zielt Werbung darauf ab, die zeitgenössische Mentalität und gesellschaftliche Strömungen aufzugreifen, hervorzukitzeln und natürlich häufig ins Extreme zu drehen – oder gar auch neue Lebensstile zu proklamieren. Deshalb wäre es nicht aussagekräftig, die kommunizierten Narrative unreflektiert als historische Belege zu werten. Vielmehr müssen die Art des Narrativs, die strategisch-mediale Umsetzung und die eingesetzten marketingstrategischen Mechanismen analysiert werden, was eine neue Perspektive auf Werbung, Medieneinsatz, Mediensysteme und Mentalitätsgeschichte freigibt. 

Zum anderen streben Werbetreibende bzw. Werbefachleute wohl immer danach, den bestmöglichen Einsatz eines Mediums für werberisch-ökonomische Zwecke zu finden und die spezifischen Angebote von Medien(-technologien) gezielt und innovativ einzusetzen. Insofern ist die Art und Weise, wie Medien, Technik und deren Möglichkeiten (aus-)genutzt werden, immer auch ein Gradmesser dafür, welche Kommunikations- und Nutzungsformen die Technologien ermöglichen. Die Werbeschallplatte kann hier als exemplarischer Untersuchungsgegenstand erkenntnisreich sein. 


[1] Vgl. Deutsches Rundfunkarchiv (Hrsg.) (1998): Tondokumente zur Kultur- und Zeitgeschichte 1888-1932: Ein Verzeichnis. Zusammengestellt und bearbeitet von Walter Roller (=Veröffentlichungen des Deutschen Rundfunkarchivs), Potsdam: Verlag für Berlin-Brandenburg, S. 28; Deutsches Rundfunkarchiv (Hrsg.) (2000): Tondokumente zur Kultur- und Zeitgeschichte 1933-1935: Ein Verzeichnis. Zusammengestellt und bearbeitet von Walter Roller (=Veröffentlichungen des Deutschen Rundfunkarchivs), Potsdam: Verlag für Berlin-Brandenburg, S. 29, 111, 184, 198 & 202).

[2] Der Schallplattensammler Thomas Schulze auf seiner Website Stars on 7 Inches, Online (Zugriff: 02.06.2019).

[3] Meitz, Tino G. K./Zurstiege, Guido (2012): Werbekommunikation aus medien- und kommunikationswissenschaftlicher Sicht, in: Nina Janich (Hrsg.): Handbuch Werbekommunikation: sprachwissenschaftliche und interdisziplinäre Zugänge, Tübingen: Francke Verlag, S. 383–394, hier: S. 383.

[4] Vgl. Schweiger, Günter/Schrattenecker, Gertraud (2009): Werbung: eine Einführung (=UTB Betriebswirtschaftslehre), Stuttgart: Lucius & Lucius, S. 1.

[5] Vgl. Knop, Karin (2006): Werbung als Signum der Urbanität, in: Werner Faulstich (Hrsg.): Das erste Jahrzehnt, München: W. Fink, S. 147–162, hier: S. 148f.

[6] Coccia, Emanuele (2017): Das Gute in den Dingen: Werbung als moralischer Diskurs, Berlin: Merve Verlag.

[7] Es finden sich Quellen, die sich mit den frühen Platten und dem Gebrauch von Schallplatten für die Hörfunkwerbung in den 1930er Jahren auseinandersetzen (vgl. Deutsches Rundfunkarchiv (Hrsg.) (1998): Tondokumente zur Kultur- und Zeitgeschichte 1888–1932; Deutsches Rundfunkarchiv (Hrsg.) (2000): Tondokumente zur Kultur- und Zeitgeschichte 1833–1935; Maatje, Christian (2000): Verkaufte Luft: Die Kommerzialisierung des Rundfunks: Hörfunkwerbung in Deutschland (1923–1936), Potsdam: Verl. für Berlin-Brandenburg); zu den Platten ab den 1950er Jahren entsteht derzeit erste Forschung: Sandra Reimann: „Die Schallplatte – sprach- und medienwissenschaftliche Untersuchungen zu einem unerforschten Werbemedium“, im Druck; Ottmann/Reimann: „Audiovision in drei Teilen. Analysen zur Werbeschallplatte unter besonderer Berücksichtigung des Beispiels Was ist Hi-Fi? der Marke Bang & Olufsen 1965“, im Review-Prozess; Ottmann/Reimann: „‚Von Hand auflegen‘. Die Werbeschallplatte als interaktives Werbemittel“, in Mitteilungen des Regensburger Verbund für Werbeforschung, 6, in Vorbereitung. Im Rahmen eines Projektseminars an der Universität Regensburg ist zudem unter der Leitung der Verfasserin eine Webseite rund um das Werbemittel entstanden. Siehe: https://sprembergswerbeschallplatten.wordpress.com/.

[8] Landesbausparkasse (1950er): Ein kleines Haus im Wiesengrün (Fox aus dem Gemeinschaftsfilm ‚Ferien vom Alltag‘ der öffentlichen Bausparkassen und Landesbausparkassen). Regensburger Archiv für Werbeforschung, Regensburg (RAW), Spremberg-Sammlung, R-Nummer: 11733. Online (Zugriff: 18.03.2019), Rückseite Schallpostkarte.

[9] Vgl. Kloss, Ingomar (2012): Werbung: Handbuch für Studium und Praxis, München: Vahlen, S. 520.

[10] Kloss, Ingomar (2016): Werbung, Lehr-, Studien- und Nachschlagewerk, Berlin, Boston: De Gruyter, S. 488. Ausführlicher dazu siehe Ottmann/ Reimann: „‚Von Hand auflegen‘“ (in Vorbereitung).

[11] Bien, Helmut M. (1998): Werbung am Puls der Zeit, in: Wolfgang Schepers (Hrsg.): ’68 – Design und Alltagskultur zwischen Konsum und Konflikt, Köln: DuMont, S. 144‒155, hier S. 150, zitiert nach: Knop, Karin (2003): Zwischen Afri-Cola-Rausch und dem Duft der großen weiten Welt: Werbung in den sechziger Jahren, in: Werner Faulstich (Hrsg.): Die Kultur der sechziger Jahre, München: Fink, S. 241–272, hier: S. 244.

[12] Knop (2003), S. 244.

[13] Vgl. Knop (2003), S. 246.

[14] B&O (1965): Was ist HiFi? Die Eroberung einer technischen Wunderwelt. Mit vielen Erläuterungen. Herausgegeben von den Toningenieuren des B&O Akustikstudios. Regensburger Archiv für Werbeforschung, Regensburg (RAW), Spremberg-Sammlung, R-Nummer: 11592, Single 45. Online (Zugriff: 18.03.2019).