Tagung | Panel der AG ›Auditive Kultur und Sound Studies‹ auf der GfM-Jahrestagung 2022

Zeitraum der Tagung: 28. September bis 01. Oktober 2022

Termin des Panels: 29. September 2022, 14.00 bis 15.30 Uhr

Ort: Melanchthonianum der Universität Halle, Universitätsplatz 9, 06108 Halle (Saale); Hörsaal XVI

Link zur Jahrestagung hier.


Panel der AG ›Auditive Kultur und Sound Studies‹

SOUND WORK(S)

Moderation: Anna Schürmer und Golo Föllmer

Das Panel SOUND WORK(S) der AG Auditive Kultur und Sound Studies wirft einen Blick auf die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Sound-, Arbeits- und Medienkulturen. Dabei sollen vor allem die Möglichkeitsbedingungen von Arbeit an und mit Klang in den Fokus genommen werden. Zwei Fragen sind hierbei leitgebend: Zum einen, inwiefern sich im Umgang mit musikalischen Medientechnologien Arbeitsweisen herausbilden, die spezifische Klangkonzepte und -ästhetiken hervorbringen; zum anderen, inwiefern Verwaltungsakte und Klangarbeitsarchitekturen Macht über Klangarbeitende, also Künstler:innen, ausüben. Die ersten beiden Vorträge des Panels thematisieren die Materialitäten und Arbeitskulturen elektronischer Musikproduktion an den Beispielen des Elektrophons und des Tonbands. Die materiellen bzw. handwerklichen Praktiken – auf der einen Seite das Wickeln von Drähten und Löten von Bauelementen, auf der anderen Seite das Schneiden und Kleben von Tonband – werden als Arbeit an und mit Klang verstanden, durch die sich jeweils neue bzw. alternative Perspektiven auf die Musik- und Kompositionskultur des 20. Jahrhunderts entwerfen lassen. Beim dritten und vierten Vortrag stehen dagegen Machtfragen und Dispositive im Vordergrund: Sowohl Musikformulare als auch Studioarchitekturen sind in diesem Sinne machtvolle Instrumente zur Vereinheitlichung und Normierung, Hierarchisierung und Klassifizierung von Klang und Musikschaffenden. Über die Betrachtung von elektronischen Schaltwerken, das Tonband-Hand-Werk, Musikformularen und Tonstudio-Dispositiven versucht das Panel, den Begriff der Arbeit und die Analyse von Arbeitstechniken, -infrastrukturen und -architekturen produktiv mit den Diskursen der Sound Studies zu koppeln.

Einzelvorträge:

  1. Christina Dörfling: Im Schaltwerk der Klänge – Vom Arbeiten über und mit historischer Musikelektronik

Abstract Das Aufkommen elektrischer und elektronischer Bauelemente seit der vorletzten Jahrhundertwende ändert nicht nur die Art und Weise, wie Musik und Klang reproduziert und übertragen werden, sondern auch die Möglichkeiten ihrer Generierung und Gestaltung. Mitte der 1920er Jahre migrieren zunehmend zuvor in der Nachrichtentechnik verwandte elektrotechnische Komponenten und Schaltungen in die Musik. Als neuartige Materialien werden sie explorativ erprobt, materiell rekombiniert und für genuin musikalische Zwecke umgewidmet. Dies erfordert nicht nur die Integration bis dato musikfernen Wissens, wie es zum Teil in Zusammenschluss verschiedener Expertisen kollaborativ erarbeitet wird, sondern auch die Auseinandersetzung mit dem Material selbst: Drähte wickeln und biegen, Bauelemente abisolieren und löten, Aufbauten designen und ausprobieren. Bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutet sich an: Arbeit an Schaltungen ist Arbeit am Klang. Der Vortrag wird zum einen am Beispiel der Entwicklung früher Elektrophone die Arbeit an archaischer Musikelektronik auf Grundlage historischer Schaltungsdesigns sowie überlieferter und nachgebauter Apparate skizzieren. Dabei bilden sich zum anderen auch methodologische Konturen einer schaltungssensiblen Musik- und Klangforschung ab.

Kurzbio Christina Dörfling ist Lehrbeauftragte im Fachbereich »Medien und Wissen« an der Humboldt-Universität Berlin. Zuvor war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im BMBF-Projekt »Musikobjekte der populären Kultur« (2019-2021 / HfM Weimar) sowie im Graduiertenkolleg »Das Wissen der Künste« (2015-2018 / UdK Berlin). Jüngste Veröffentlichungen: Musikobjektgeschichten. Populäre Musik und materielle Kultur (m. Martin Pfleiderer u. Christofer Jost, 2021) sowie Der Schwingkreis. Schaltungsgeschichten an den Rändern von Musik und Medien (2022).

  1. Maximilian Haberer: Schneiden, Kleben, Kopieren, Schleifen. Tonbandarbeit als Hand-Werk

Abstract Als materielle Praxis, die Eingriffe an Klangmaterie vornimmt, kann das Arbeiten mit Tonband als eine Hand-Werks-Kunst verstanden werden. Dabei wird eine pejorative Trope des kritischen Diskurses zu Tonbandarbeiten, nach der Tonbandmusik nicht als Kunstwerk, sondern ›nur‹ als Handwerk zu begreifen sei, aufgenommen und produktiv gewendet. So erweist sich bei genauerer Betrachtung ein weites Verständnis von Handwerk, wie es Richard Sennet in seinem Buch »The Craftsman« (2008) entwickelt hat, als äußerst passend, um die besondere materielle Kultur von musikalischer Arbeit am und mit Tonband adäquat zu beschreiben. Handwerk (Craftsmanship) wird dabei als »skill of making things well« und als »intimate connection between hand and head« (ebd., S. 8ff.) verstanden, das sich durch ein besonderes Materialbewusstsein auszeichnet. Und auch die semantische Nähe der basalen Tonbandoperationen – Schneiden, Kleben, Kopieren, Schleifen – zu Werkstatt- und Bastelpraktiken macht die Betrachtung von Tonbandkünstler:innen als Handwerker:innen denk- und greifbar. Das Tonband wird auf diese Weise zum Werk-Zeug und macht Musikmachen mit phonographischem Material (Großmann 2008) zu einer Sache der Hand – zu Handarbeit, zu einem Hand-Werk. Durch diese Unmittelbarkeit wird Klang als formbares Material zugänglich bzw. wortwörtlich greifbar. Das Tonband macht Klang im Heidegger‘schen Sinne zuhanden – es wird zu einem Hand-Werk-Zeug.

Kurzbio Maximilian Haberer ist seit 2017 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medien- und Kulturwissenschaft der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er hat in Freiburg, Wien, Düsseldorf und an der Pennsylvania State University (PA, USA) Medienkulturwissenschaft und Musikwissenschaft studiert. Derzeit verfasst er seine Dissertation zur Kulturgeschichte und Ästhetik des Tonbandes an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Kultur, Ästhetik und Geschichte akustischer Medien, die Historizität und Technizität von Hörkulturen, Musik und Digitalität, Algorithmische Musikrezeption und -distribution sowie Theorien und Praktiken auditiver Subjektivierung.

  1. Alan Fabian: Musikformulare als ›Fließbänder der Verwaltung‹

Abstract Eine zentrale medienhafte Materialität, die die Medienwissenschaft der vergangenen Jahrzehnte übersehen hat, ist das ›Formular‹. Das Formularische gibt es seit Jahrhunderten, zunächst als ›Formulae‹: vorgegebene formelhafte Formulierungen für die standardisierte Beurkundung (vgl. Burkard 2010). Formulare sind beschreib- und lesbare Medien – nicht nur in Papier, sondern heute vor allem in elektronischen Verschaltungen für Computersystemformulare wie Konfigurationsdateien. Der Wille zu Formulae und Formularen besteht darin, Vereinheitlichung und damit Vergleichbarkeit in die Welt der Beurkundung und Sachverhaltsbearbeitung zu tragen und das in Form von ›handfest‹ kundgetanen ›Papieren‹ – egal wie schriftmedial oder medientechnikförmig diese Papiere sind. Erst die Vereinheitlichung macht das darin formelhaft Formulierte zu Sachverhalten, die miteinander vergleichbar und somit hierarchisierbar in der Mächtigkeit sind: eine handfeste Währung aus Verwahrheitlichungen, seit Jahrhunderten die Währung der Verwaltung. Formulare manifestieren Verwaltungsinstitutionen genau darin, dass Formulare den gesamten verwaltungstechnischen Sachverhaltsverkehr regeln. Formulare sind das »Fließband der Verwaltung« (Brinckmann et al. 1986). Aus Sicht der Musikformulare kommen diejenigen Institutionen zum Vorschein, die diese Formulare ›vor-geben‹ und ›aushändigen‹, um diese ›bearbeiten‹ zu können: von der GEMA über Dirigent:innen und Komponist:innen bis hin zu Kompositionswettbewerben und Musikfestivals sowie Musikarchiven und Musikwissenschaftsinstituten sind Musikformulare, insbesondere das musiknotationelle Formular, zentral und notwendig, um darin künstlerische Sachverhalte bewerten, zu ordnen, kurz, ›abarbeiten‹ zu können. Musikformulare sind das Fließband von Musikverwaltungen für Musikantragstellende – was für eine Arbeit…

Kurzbio Alan Fabian ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Musik und Musikwissenschaft der Stiftung Universität Hildesheim im Bereich Musik und Medien. Lehraufträge an verschiedenen Universitäten und Hochschulen. Fachgebiete: Musikformulare und Musikverkehr, Musikmedienarchäologie, Computermusik und Elektroakustische Musik. Promotion an der Musikhochschule Köln 2011 mit der Dissertation »Eine Archäologie der Computermusik. Wissen über Musik und zum Computer im angehenden Informationszeitalter« im Kadmos-Verlag. Studium u.a. am Institut für Sonologie in Den Haag, am IRCAM in Paris, im Studio für elektronische Musik der Musikhochschule Köln (Diplom), an der Internationalen Ensemble Modern Akademie Frankfurt am Main.

  1. Tomy Brautschek: Soundschmieden, Klangfabriken, Looplabore. Arbeitsarchitekturen und (akustische) Gegenräume des Tonstudios

Abstract Das Tonstudio stellt einen Ort medienkultureller Produktion dar. Seine Raumordnung kann dabei gleichermaßen hierarchisierte Produktionsverhältnisse repräsentieren wie sie auch den Aktionsradius von Tonarbeiter:innen bestimmt. Entsprechend des räumlichen Grundkonzepts können Studios somit einerseits als kulturindustrielle Fertigungsanlagen und anderseits auch als künstlerisches Experimentierlabor verstanden werden. Mediales Produkt der Klangfabrikation ist hierbei Sound im Allgemeinen, der als das technische Artefakt und die jeweils akustische Form des Studiomediums erscheint. In diesem Zusammenhang soll im Vortrag gezielt nach Räumen gefragt werden, welche die etablierte Arbeitsarchitektur der Produktionsstudios zu überwinden versuchen. Mit Blick auf die medienhistorischen Zäsuren der Schallaufnahmeverfahren lässt sich dabei tendenziell eine zunehmende Demokratisierung beobachten, die mit der (Rück-)Eroberung des Produktionsraums und der Selbstermächtigung über den Sound des eigenen Werkes durch den Musiker zusammenfällt. Dementsprechend lösen sich die Architektur und die medientechnische Konfiguration des Tonstudios von einer Ästhetik der Industriegesellschaft ab und erscheinen nunmehr im Zeichen einer durch Flexibilität markierten neoliberalen Ökonomisierung.

Kurzbio Tomy Brautschek ist seit 2015 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medien- und Kulturwissenschaft der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er forscht und lehrt im Bereich der Sound Studies mit einem besonderen Schwerpunkt auf Popkultur und Medien sowie auf Hörregime und Dispositive auditiver Medienkultur. Gegenwärtig beendet er seine Dissertation mit dem Titel »Achtung Aufnahme. Das Tonstudio als Macht- und Mediendispositiv«.


Weitere Informationen zum Tagungsprogramm: https://gfm2022.medienkomm.uni-halle.de/programm/