Im Rausch(en) der Informationen. Warum das Internet als akustischer Raum gedacht werden muss

Solveig Ottmann

[Aktualisierte Version: 17. Mai 2022]


Medien beeinflussen, wie wir kommunizieren und die Welt um uns herum wahrnehmen. Im Laufe der Menschheitsgeschichte veränderten sich die medialen Technologien immer wieder maßgeblich, überbrückten zunehmend Zeit und Raum und beschleunigten die Übertragung von Informationen. Heute haben das Internet und das World Wide Web den Globus mit ihren Knotenpunkten und Linien in ein signalverarbeitendes und -übermittelndes Netzwerk eingewoben, das uns in eine Art kommunikativen Dauerrauschzustand versetzt. Die spezifischen Übertragungs- und Übermittlungsprinzipien des Internet brechen die Prinzipien ‚klassischer‘ Medien auf. Mehr noch: das Internet fungiert als ‚Verrauscher‘, welcher Noise ist und Noise erzeugt, ein kontinuierliches Rauschen, das sich in bestehende kommunikative Ordnungen einnistet und diese reorganisiert. Das Internet ist dabei mehr als lediglich das Netzwerk und die technologische Infrastruktur für das World Wide Web, das den Nutzer_innen als grafische Oberfläche den Zugang zu diesem ermöglicht, vielmehr bedingen das Internet und seine Funktionsweise(n) den Interaktions- und Kommunikationsraum, der mit dem Medientheoretiker Marshall McLuhan als akustischer Raum aufgefasst werden muss. Akustisch bezieht sich dabei nicht notwendig auf akustisch-auditiv wahrnehmbare Phänomene, sondern verweist auf die Logik (auditiver) Sinnesmodalitäten und Kommunikationsmodi, die im Internet als akustischem Raum simuliert werden. Um diese mediale Situation und die daraus hervorgehenden Kommunikationsprozesse angemessen zu erfassen, greift es jedoch zu kurz, auf bestehende Ansätze und Kommunikationsmodelle zurückzugreifen. Vielmehr werden aus dieser Perspektive Leerstellen der Internetgeschichtsschreibung und der medientheoretischen Reflektion offengelegt, die medienarchäologisch aufzuarbeiten sind. Was dies für die medienwissenschaftliche Erforschung des Internet bedeuten kann, wird in der folgenden Projektskizze aufgezeigt.



Noisy Internet!

Das World Wide Web (WWW) ist eine lärmige Kommunikationsumgebung, eine Sphäre voller Rauschen: Social Media, Webseiten, eine unüberschaubare Anzahl von Apps und Nachrichtendiensten sowie E-Mails, von denen ein großer Teil unerbetener Spam sind, überschütten Nutzer_innen geradezu mit Informationen. Unter dieser belebten Oberfläche des WWW liegt das Inter(connected)net(work), die manifeste, aber für uns weitgehend unsichtbare technologische Infrastruktur – das Netzwerk, das diese grafischen Oberflächen, Anwendungen und Netze beherbergt und die Signal-, Daten- und Informationsübertragung zwischen den Knotenpunkten gewährleistet. Die Digitalisierung und besonders die fortschreitende Vernetzung von Kommunikations- und Informationsstrukturen im und durch das Internet bringen tiefgreifende Veränderungen in den Kommunikationsprozessen mit sich, die sich auf allen Ebenen beobachten lassen. Massiv sichtbar wurde dies in den ersten Monaten des Jahres 2020 mit dem Beginn der Covid-19-Pandemie, die exemplarisch mediale Wirkungsweisen vernetzter Medien spürbar werden ließ. Die Informationslage wurde zu einem regelrechten Informationsrauschen, von der WHO als Infodemie betitelt, denn auf unendlich vielen Kanälen überschlugen sich die Ereignisse, Informationen wie Falschmeldungen wiederholten sich, wurden ungeordnet nebeneinandergestellt – ein Zustand, der in mittlerweile abgeschwächter Form noch immer anhält und den Services im WWW inhärent ist. Nutzt man z.B. den Dienst Google News, der die Angebote klassischer Tageszeitungen in digitaler Form bündelt, zeigt sich, dass die Nachrichten tendenziell ohne Struktur und vermeintlich ungefiltert erscheinen, sich in Wahrheit aber dennoch in einer ganz eigenen Ordnung darstellen: Aktuelle Nachrichten stehen neben Nachrichten von vor zwei Tagen, publizistische Angebote stehen unabhängig von ihren Verlagshäusern nebeneinander, Algorithmen, deren Strukturen dem User unbekannt sind, ordnen die Informationen nach einem nicht nachvollziehbaren System. Im facebook-Feed hingegen wechseln sich Nachrichten-Meldungen mit Werbung, privaten Posts oder Beiträgen diverser Institutionen ab. Konkret bedeutet dies in Zeiten von Fake News und der sogenannten Post-Truth-Era: Im Rausch(en) der Information(en) wird es zunehmend aufwendiger und schwerer, relevante von irrelevanten, korrekte von inkorrekten, faktentreue von falschen Nachrichten zu unterscheiden. Dies ist zum einen der Fall, weil teilweise gezielt mit manipulierten und/oder gefälschten Informationen Agenden verfolgt werden. Zum anderen machen es die schiere Fülle und die Vielfältigkeit der Informationen sowie die Schnelligkeit dieses digitalen Raumes fast unmöglich, dass sowohl Journalisten als auch die User_innen, die gleichermaßen zur Infosphäre beitragen, noch Schritt halten könnten.

Dieses mediale Gefüge ist nicht ohne Vorgeschichte, wie ein Blick in die Vergangenheit leicht erkennen lässt. Für ein tiefergreifendes theoretisches Verständnis der Mediengenese und des Medienwandels aber ist eine detaillierte Betrachtung nötig, die auch die materiellen Bedingtheiten und damit die medialen Infrastrukturen berücksichtigt. Zentral für eine solche medienwissenschaftliche Perspektive ist das Theoriegebäude des kanadischen Medientheoretikers Marshall McLuhan geworden, auf das in den folgenden Darstellungen aufgebaut wird. Schon das ‚klassische‘ Medium Zeitung hatte die Tendenz, den Leser_innen unzusammenhängende Informationen vorzulegen.Die mediale Grundstruktur des Buches dagegen basiert auf einer linearen Aneinanderreihung von Informationen, die sich zur Ausarbeitung komplexer Argumente viel besser eignet. Bei der Zeitung dagegen entsteht durch die redaktionelle Pflege und Zusammenstellung der Inhalte entsteht eine Art Mosaik, das sich aus diskontinuierlichen Einzelteilen zusammensetzt, aber eine unveränderliche, weil in sich abgeschlossene Einheit (d.h. eine Zeitungsausgabe) formt. Verstärkt wurde diese Tendenz zur informationellen Zerstreuung durch die aufkommende Telegrafie, die die Informationsübermittlung über Raum- und Zeitgrenzen hinweg ermöglichte und so als elektrisches Medium die starre Struktur des Buches aufbrach. Das Elektronische Zeitalter wurde eingeläutet und damit mediale Interaktions- und Kommunikationsformen geschaffen, die einen neuen Erfahrungsraum eröffneten.

Der acoustic space oder: Die vernetzte instant world of all-at-onceness

Diesen neuen Raum beschreibt Marshall McLuhan seit den 1960er Jahren als acoustic space, wenn er in seinen Schriften die kommunikativen Phasen der Menschheitsgeschichte aufarbeitet: angefangen vom Menschen als tribal man, der in einem acoustic age lebte, über die Phase des written age (Gutenberggalaxis) und die Massenproduktion (Fordismus) bis hin zum global village und dem elektronischen Zeitalter. Als ausschlaggebend für die verschiedenen Stadien macht er jeweils die sich verändernden (Medien-)Technologien verantwortlich, die die Gesellschaft in der jeweiligen historischen Phase auf kommunikativer Ebene bestimmten (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: (Animiertes) Google Doodle zum 106. Geburtstag von Marshall McLuhan am 21.07.2017. McLuhan teilt die Geschichte in unterschiedliche Phasen ein, die maßgeblich durch Kommunikationsformen und Technologien bestimmt sind. Quelle: Google Doodle, https://www.google.com/doodles/marshall-mcluhans-106th-birthday [Zugriff: 17.3.2020].

Zunächst mit der Entwicklung des phonetischen Alphabets, später dann vor allem durch Gutenbergs Druckerpresse und die damit verbundene massenhafte Verbreitung von schriftlich fixiertem Wissen, fand der Übergang vom von McLuhan eingeführten acoustic space zum visual space statt. Das Dasein des Menschen im acoustic space/age war – verkürzt gesprochen – von Interaktion und Kommunikation geprägt, die in dessen unmittelbaren Umfeld stattfanden, mit allen Sinnen erfahrbar waren. McLuhan beschreibt diese Sphäre als ‚akustisch‘, da diese, wie das Akustische, keinen Mittelpunkt und keine Begrenzung hat. „Acoustic space is organic and integral, perceived through the simultaneous interplay of all the senses […].” (McLuhan 1969, 59) ‘Akustisch’ ist hier somit gerade nicht auf Hörbares begrenzt – zumal das Wahrnehmen von akustischen Ereignissen ein multisensorischer und nicht rein auf den Hörsinn beschränkter Vorgang ist –, sondern beschreibt vielmehr die räumliche Dimension, die dem Akustischen inhärent ist. Die Schriftkultur und das damit einhergehende written age bedeutete den Eintritt in einen nun mehr perspektivisch, also visuell geprägten und abstrakten Erfahrungsraum, den visual space, der tiefgreifende Veränderungen mit sich brachte. ‚Real‘ wurde so nicht mehr nur das, was unmittelbar sinnlich erfahrbar, sondern auch über große zeitliche und räumliche Distanzen hinweg kommunizierbar und damit lediglich vorstellbar war: sich also aus der unmittelbaren Lebenswelt entfernt hatte. Für das 19. Jahrhundert beobachtet McLuhan ausgehend von der elektrischen Telegraphie eine sich erneut verändernde Welt. Die Länder wurden umfangreich vernetzt, Orte waren über Telegramme schnell zu erreichen: Die Welt wurde zum globalen Dorf, das elektronische Zeitalter begann. Die in der Folge entstehenden elektronischen Medien (Radio, Film, Telefon, Fernsehen und Computer) katapultierten den Menschen in einen Zustand oraler Kommunikation (acoustic space) zurück. Dieser war nun allerdings transformiert. Die – idealisiert gesprochen – medial herbeigeführte Linearität, die den visual space prägt(e), wurde durch die einsetzende Gleichzeitigkeit neuer Kommunikation, in der disparate Elemente nebeneinandergestellt werden, aufgebrochen. Diese Kommunikationssituation diskutiert McLuhan zwar vor allem am Medium Fernsehen, dennoch imaginiert er auch anhand des Computers Entwicklungstrends, die das Internet als reconfigured acoustic space (vgl. McLuhan/McLuhan 1988) vorwegnehmen und konzeptualisieren.

Kommt man zum einleitenden Beispiel des Nachrichtenflusses im Web und der Infodemie zurück, lässt sich erkennen, dass im Web die Informationen nun noch weit vielfältiger und ungeordneter sind als in der ‚klassischen‘ Zeitung und zudem einer ständigen Dynamik unterworfen sind. Im Web, dem Inbegriff einer „software world of instant electric communications movement“ (McLuhan 1969, 72), passiert ‚alles‘ gleichzeitig und rund um die Uhr, Informationen kommen ‚von überall her‘. Was durch die Telegrafie angestoßen wurde und sich schon bei der ‚klassischen‘ Zeitung als ‚Verrauschung‘ darstellte, gipfelt nun in der Beschaffenheit und Funktionsweise des Internet und seiner Oberflächen wie dem WWW, das als noisy in all der Ambiguität des Begriffs aufgefasst wird. Das Internet ist ein Diffusor, ein Streukörper also. Es ist ein Unruhestifter aber auch ein Anstifter (in) einer neuen, digitalen Ordnung. Es nistet sich parasitär als Noise, als Rauschen, in sämtliche vernetzte kommunikative Phänomene ein (vgl. Dotzler/Ottmann 2020). Lineare und sequentielle Kommunikationsmodelle (visual space) greifen nun aber zu kurz, um dies zu erfassen. Dies legt auch Bernhard Dotzler nahe, wenn er fordert, die elektr(on)ischen Medien in anderen als visuellen, nämlich akustischen, Kategorien neu zu denken (vgl. Dotzler 2015). Mit der Bestimmung als acoustic space eröffnet sich eine neue Verständnisweise des Internet, dessen Kommunikations-, Übertragungs- und Übermittlungsprinzipien in Form einer Arbeitshypothese als acousticness oder ‚Akustizität‘ konzeptualisiert werden. Gleichzeitig werden so Desiderate der Internetforschung freigelegt und in der Geschichtsschreibung bisher vernachlässigte Fundamente dieser Akustizität sichtbar, die bis zu den Ursprüngen des Internet zurückreichen und medienarchäologisch aufzuarbeiten und medientheoretisch einzuordnen sind.

Die akustische Epistemologie des Internet

So abstrakt es zunächst erscheint, die Akustizität des Internet erforschen zu wollen, so naheliegend wird es, richtet man die Aufmerksamkeit auf die durch das Konzept des acoustic space freigelegten Leerstellen in der Entstehungsgeschichte des Internet. Im Sinne einer medienarchäologischen Vorgehensweise erhalten bis dato als nebensächlich erachtete Einflüsse im Kontext des ARPANET, in dem die Entstehung des Internet begründet liegt, neue Bedeutung. Ziel medienarchäologischer Forschung ist es, verschüttete Fundamente und Wissensbestände medientechnologischer Entstehungszusammenhänge aufzudecken und auch untergründige Beziehungen, historische Brüche und scheinbar irrelevante – weil nicht ‚zum Erfolg führende‘ – Entwicklungsstränge zu beachten (vgl. Kasten).

info

Seinen Ausgangspunkt nahm das Internet in den USA der 1960er Jahre. Im Zuge des Sputnik-Schocks gründete 1959 das US Department of Defense die bis heute bestehende Advanced Research Projects Agency (ARPA) (heute: Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA)), deren Funktion es war, Projekte zur Vernetzung und zu fortschrittlichen Technologien anzustoßen und zu finanzieren. Initiale Zielsetzung war es, ein Kommunikationsnetzwerk mit zuverlässigen Signal- und Datenübertragungswegen aufbauen zu lassen. Hierzu wurden zahlreiche von der ARPA finanzierte Projekte ins Leben gerufen und diverse Firmen beteiligt: so z.B. das von J.C.R. Licklider angestoßene Information Processing Techniques Office (IPTO) oder die Involvierung von Bolt Beranek and Newman (BBN), einer 1948 gegründeten Firma für die Beratung in akustischen Fragen und die Umsetzung akustischer Projekte. BBN implementierte das erste Netzwerk und war mit der Einrichtung der Interface Message Processors (IMPs) betraut, die die Nachrichtenübertragung zwischen Computern erlaubte. Das daraus resultierende Netzwerk, das sog. ARPANET, verknüpfte zunächst die am Projekt beteiligten Universitäten, und aus anfangs nur drei, dann vier Knotenpunkten erwuchs über wenige Jahre hinweg ein weitverzweigtes Kommunikationsnetzwerk (vgl. Abb. 2).


Abb. 2: Karte des ARPANET im Dezember 1970 mit 18 Knoten und 24 Verbindungslinien. Quelle: UCLA & BBN, Wikimedia, CC BY-SA 4.0.


In vielfältigen Entwicklungsschritten etablierten sich in den 1970er Jahren standardisierte Netzwerkprotokolle, die 1982/83 im Transmission Control Protocol/Internet Protocol (TCP/IP) mündeten, das den Zusammenschluss unterschiedlichster Netzwerke erlaubte, wodurch sich der Begriff des interconnected networks zu etablieren begann. Parallel bildeten sich erste Dienste zum Datenaustausch und zur Kommunikation aus (so z.B. E-Mail oder Boards). Mit der Entwicklung von HTML (Hypertext Markup Language) im Jahre 1989 durch Tim Berners-Lee am Schweizer CERN war der Startschuss für die Entwicklung des World Wide Web gelegt. Mit der Öffnung des bis dahin rein wissenschaftlich genutzten Internet für kommerzielle Zwecke im Jahre 1990 sowie der Einführung des ersten grafischen Webbrowsers Mosaic im Jahre 1993, der nun auch Nutzern ohne spezifische IT-Kenntnisse den Zugang ermöglichte, begann der Siegeszug der vernetzten, computergestützten Kommunikation, wie wir sie heute kennen.

Obschon ein Großteil der Computer-Pioniere der 1940er und 1950er Jahre Mathematiker, Physiker oder auch Elektroingenieure mit Fokus auf die technischen Grundlagen waren, finden sich auffallend viele (psycho)akustisch ausgebildete Forscher, die in den USA an neuralgischen Punkten der Konzeption, Umsetzung und Implementierung des Internet und seiner (Netzwerk)Struktur beteiligt waren. So sind hier – um nur einige prominente Beispiele auszuwählen – besonders der Psychologe J.C.R. Licklider (1915–1990), der Informatiker und Psychoakustiker Robert W. Taylor (1932–2017) oder auch der (Raum-)Akustiker Leo Beranek (1914–2016) hervorzuheben. Licklider, der häufig als eine Art Vater des ARPANET bezeichnet wird, war in der Experimentellen Psychologie sowie der Psychoakustik beheimatet und erforschte zunächst die Zusammenhänge menschlicher Signalverarbeitung akustischer Schallereignisse, wie z.B. Sprache, und den auftretenden Hörwahrnehmungen. In seiner Position als Gründer des von der ARPA finanzierten Information Processing Techniques Office (IPTO) lag sein Interesse in der Vernetzung und dem gegenseitigen Verständnis von Mensch-Technik und Mensch-Mensch und damit auf Kommunikationsprozessen, die von seinen psychologischen Forschungen profitierte. Medienarchäologisch betrachtet ist den bisher als Randphänomene behandelten akustischen Hintergründen Aufmerksamkeit zu schenken und aufzuarbeiten, inwiefern ein akustisches Verständnis von Signalübertragung, Signalverarbeitung und menschlicher Wahrnehmung sich im Internet niederschlug und seine Struktur mitprägte. Weiterhin darf dies nicht singulär betrachtet werden, sondern muss mit anderen Wissensbeständen und erkenntnistheoretischen Prozessen in Beziehung gesetzt werden: Zeitgleich zur Konzeptualisierung von computervermittelter und damit vernetzter Kommunikation, die in der Entwicklung des ARPANET mündete, wurde die elektronische Übertragung akustischer Signale in der Nachrichtentechnik, Kybernetik und Informationsästhetik stark thematisiert. Zudem machte die Raumakustik entscheidende Fortschritte, das Konzept des acoustic space wurde eingeführt, und in den späten 1960er Jahren wurde in Kanada im von R. Murray Schafer (1933–) ins Leben gerufenen World Soundscape Project die Acoustic Ecology entwickelt, die die klangliche Umwelt und ihre soziopolitischen wie kulturellen Auswirkungen auf die Lebenswelt untersucht.

Für die Mitte des 20. Jahrhunderts lässt sich in der Forschung also eine auffällige Häufung akustischer Forschung und Theoriebildung feststellen, die bisher aufgrund anders gelagerter Forschungsperspektiven nicht zusammengedacht wurden, deren verborgene Verbindungslinien jedoch herauszuarbeiten sind: So bedeutet medienarchäologisch zu forschen, sowohl die Medientechnologien selbst als auch die wissensgeschichtlichen Bedingungen für das Entstehen von Medien (neu) aufzuarbeiten und mit gegenwärtigen, ‚neuen‘ Medien in Beziehung zu setzen. Diese Verbindungen schlugen sich – so die Hypothese – als Akustizität im ARPANET und damit dem Internet nieder und könnten Aufschluss über mediale Effekte liefern, die sich heute in vernetzten kommunikativen Praktiken erkennen lassen.

Fazit: Medienarchäologie der acousticness des Internet

Es ist überfällig, die Wissensfelder zu untersuchen, die zu neuen Theorien und Praktiken führten und das Internet als Resonanzkörper akustischer Wissensbildung zu begreifen und so seiner Beschaffenheit als akustischem Raum Beachtung zu schenken. So wird es möglich, neue Erkenntnisse auf die vielen offenen Fragen bzgl. der digitalen, vernetzten Kultur und ihrer hervorgebrachten Phänomene zu gewinnen – weshalb diese akustische Epistemologie eingehender aufgearbeitet werden muss. Welche Beschaffenheit(en) und Funktionsweise(n) liegen dem Internet zugrunde, die bisher unbeachtet blieben, aber unentbehrlich sind, um Effekte wie die massive Verbreitung von Fake News oder Rezeptionsweisen von Informationen in der digitalen bzw. Netz-Kultur fassen zu können? Wie ordnet die Beschaffenheit des Internet als ‚verrauschendes‘ bzw. noisy Medium die Kommunikation und Interaktion neu? Gleichzeitig ist die zugrundeliegende Frage zu stellen: Wie kann bzw. muss das Internet gedacht werden, um die sich verändernden Kommunikationsmodi (be)greifen und beschreiben zu können?

Die Untersuchung dieser Fragen soll in einem sich in Vorbereitung befindenden Forschungsprojekt erfolgen, das auf den hier skizzierten Befunden basiert. Parallel zu einer medienarchäologischen Re-Lektüre und Re-Konstruktion der Entstehung(skontexte) des Internet im Sinne einer akustischen Epistemologie sowie einer Medienarchäologie der Akustizität müssen hierfür auch mögliche relevante akustische Terminologien und Denkfiguren aus der Signalverarbeitung und Medientheorie (wie bspw. Signal, Noise, Rauschen, Resonanz) aufgearbeitet und auf ihre Erklärungskraft wie theoretische Relevanz überprüft werden. Die Konzeption des Internet als akustischer Raum im McLuhan’schen Sinne kann dazu beitragen, die Internetforschung aus ihrer starken visuellen wie netzwerktheoretischen Verankerung zu lösen und die Funktions- und Kommunikationsweisen des/im Internet dank dieser ‚akustischen‘ Perspektive neu verstehen zu können. Ein so zu erarbeitendes, um akustisches Wissen ergänztes Kommunikationsmodell schließlich verspricht, vernetzte mediale Praktiken in ihrer historischen wie aktuellen technologischen, kulturellen, sozialen wie kommunikativen Tragweite neu erfassen zu können.

Literatur

Bernhard J. Dotzler, Failure? Farewell? Destruction! A short reflection on visual studies or visual studies contra Bildwissenschaft. In: James Elkins, Sunil Manghani, Gustav Frank (Hrsgs.): Farewell to visual studies, University Park, Pennsylvania: The Pennsylvania State University Press, 2015, S. 215–217.

Bernhard J. Dotzler, Solveig Ottmann, Noisy Internet! Web Journalism as an Epitome of the Internet’s Acousticness. In: Marcus Burkhardt, Mary Shnayien, Katja Grashöfer (Hrsg.), Explorations in Digital Cultures, Lüneburg: meson press, 2020, S. 1–22. DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/14852.

Marshall McLuhan, Playboy Interview: Marshall McLuhan–A Candid Conversation with the High Priest of Popcult and Metaphysician of Media. Playboy (1969), S. 53-72+158.

Marshall McLuhan, Eric McLuhan, Laws of Media: The new Science, Toronto; Buffalo: University of Toronto Press, 1988.

Stefan Rieger, Medienarchäologie. In: Jens Schröter (Hrsg.), Handbuch Medienwissenschaft, Stuttgart: Metzler, 2014, S. 137–144.