Call for Papers | Sound|Archive

Call der Zeitschrift für Medienwissenschaft 31, erscheint im September 2024

Deadline für Einreichungen: 29. Februar 2024 (Deutsch), 31st January 2024 (English, due to translation to German)


for an english version, see below

Im Kontext aktueller Debatten über die Dekolonialisierung von Archiven, die Restitution von Sammlungsobjekten und der Aufarbeitung kolonialer Geschichte erhält auch die Frage nach kolonialen Praktiken und Prozeduren, die Aufnahmen und Archiven von Klang oder Sound zugrunde liegen, neue Dringlichkeit. Sound ist dabei ein selbst problematischer, nicht zuletzt strategischer Begriff, der zugleich exzessiv und diskriminierend über das Konzept des Klangs hinausgeht. Sound ruft ein interkulturelles und technologisches Machtverhältnis auf und wäre im Kontext von Geräusch und Rauschen erst zu verorten. Medienwissenschaftliche Untersuchungen, und hier sind nicht nur Sound Studies adressiert, versprechen Einsichten in die Bedingungen der Aufzeichnung, Produktion, Distribution und Rezeption von Klängen, Stimmen und Geräuschen (noise). Im Anschluss an, zum Beispiel, anthropologische und kulturanthropologische Forschungen (Rosalind Morris [2008]; Brian Larkin [2008]), an Untersuchungen kolonialer Praktiken (Achille Mbembe [2005/6]; Britta Lange [2020]; Anette Hoffmann [2020]), an der musiktheoretischen Verbindung von «Reason and Resonance» (Veit Erlmann [2010]), oder an Studien im Kontext imperialer Kriegsführung (J. Martin Daughtry [2015]; Steve Goodman [2010]) lassen sich nicht nur Fragen nach der Handlungsmacht des Sonischen, sondern auch Fragen nach historischen Archiven und dem Status von aufgezeichnetem Sound oder Klang als historischer Quelle überhaupt aufwerfen. Dabei soll vor allem der Reorientierung auf und der Integration von Sound Studies des «Globalen Südens», wie Gavin Steingo und Jim Sykes [2019] es programmatisch als «Remapping» vorgeschlagen haben, Rechnung getragen werden. Einerseits also wären ideologische und hegemoniale Praktiken freizulegen, andererseits Strategien der Störung, des Verweisens auf Postkoloniales auch im Akustischen. Das betrifft nicht nur die Seite der Aufnahme und Produktion von Sounddokumenten, sondern ebenso die Dimension des Hörens (Ana María Ochoa Gautier [2014]). Die Frage nach dem Ungehörten – Inaudible –, das als Kehrseite einer Theorie und Geschichte des Gehörten – Audible (Jonathan Sterne [2003]) – verstanden werden kann, verlangt eine kritische Wahrnehmung von Sounds ebenso wie den Medien ihrer Erzeugung. Sie verweist erneut auf eine prinzipielle Medialität von Historiographie, und insgesamt, um hier zwei Studien zusammenzuziehen, auf ein «Remapping of Reason», das Voraussetzung für Möglichkeiten der Dekolonisierung wäre.

Wir schlagen die folgenden Aspekte für mögliche Beiträge vor:

  • Recording Systems/Aufzeichnungssysteme. Aufnahmedispositive, die in der Medienwissenschaft prominent unter dem Begriff der Aufschreibesysteme (Friedrich Kittler [1985] zitiert Schreber) firmieren, gilt es auch für die Sound Studies zu untersuchen. Zur Diskussion stehen die technischen Dispositive der Aufzeichnung von Stimmen, Tönen und Geräuschen (noise), unterschiedliche Formate der Speicherung oder Verteilung (Sterne [2012]), sowie Transfers und Übersetzungen zwischen Medien und Formaten. Dabei geht es nicht um Technikgeschichte, sondern es soll reflektiert werden, wie unterschiedliche Techniken der Aufzeichnung von Sound unterschiedliche akustische Repräsentationen – besonders des Anderen und von Alterität – mitproduzieren (David Novak und Matt Sakakeeny [2015]).
  • Filter. Westliche Kulturen und Kulturtechniken, so Gregory Whitehead, zeichnen sich generell durch Praktiken zur Reduktion von Störungen und Störgeräuschen aus (Gregory Whitehead [1990]). Medienwissenschaftlich lässt sich das als Problem von Filtern und Filtersystemen untersuchen. So ist beispielsweise die Transkription von Tonaufzeichnungen in der Anthropologie abhängig von einem Set von Techniken und Fertigkeiten – Bleistift, Papier, Alphabete, Schrift, Schreibmaschinen, Computer usw. –, die aus einer akustischen Umgebung Texte machen. Filtersysteme können kulturellen Regeln folgen oder technisch implementiert sein, z.B. in Mikrofonen, Abspielgeräten, Algorithmen. Letztendlich lässt sich auch der Prozess der Digitalisierung als Filterung beschreiben. Alles hörbare Material müsste gegen den Anschein des Authentischen daraufhin kritisch befragt werden. Damit verbunden sind Probleme des Ein- und Ausschlusses: Entscheidungen zum Beispiel, was als Signal und was als Rauschen (noise) gelten kann oder gehört wird.
  • Soundarchive: Auch Soundarchive stehen unter dem Verdacht, hermetisch verschlossen und unveränderbar zu sein (Manuel García [2017]). Gerade im Kontext dekolonialer Anstrengungen gilt es, Soundarchive als historische Quellen und deren Rolle in der Stabilisierung kolonialer Geschichtsschreibung kritisch in den Blick zu nehmen. Zur Diskussion stehen demnach historische Machtstrukturen, die Produktion und Transmission von Wissen und Strategien zur Speicherung und Ordnung von Soundarchiven. Technische Soundaufnahmen befördern Hierarchien zwischen denen, die aufnehmen und denen, die aufgenommen werden und schreiben dabei entweder historische Herrschaftsformen fort, oder führen neue Herrschaftsformen ein.
  • Klassifizierung klanglicher Objekte. Während die kritische Auseinandersetzung mit Fotografie und Kinematografie als Medien und Praktiken der Vermessung und Klassifikation gut beforscht sind, wird Sound erst kürzlich in diesem Kontext reflektiert. Dabei soll es aber nicht nur um ein Offenlegen epistemischer und hegemonialer Strategien gehen. Die Stimme beispielsweise wurde im kolonialen Kontext besonders als Untersuchungsobjekt der Phonetik und Semantik verhandelt, dabei allerdings dezidiert nicht gehört und ebenso wenig verstanden (Britta Lange [2015]; Adriana Cavarero [2005]). Sie wurde gerade nicht als Kommentar konkreter historischer und sozialer Situationen betrachtet. Dabei eröffnet nicht lediglich die semantische Transkription der Aufnahmen das Verständnis für historische und soziale Konstellationen (Anette Hoffmann [2018]), sondern ebenso die Untersuchung klanglicher Objekte hinsichtlich der Erzeugung oder Löschung von Umgebungen (etwa durch die Charakteristiken von Mikrofonen). Das beeinflusst ebenso Aspekte von Klassifikation, Ästhetik und nicht zuletzt genderkritischer Politik.
  • Infrastrukturen und Distribution. Sound und Soundobjekte, verstanden als «Grenzobjekte» (Susan Leigh Star [2000]), sind gleichermaßen robust wie flexibel, um so über Grenzen hinweg Fächer, Diskurse und Techniken zu verbinden und miteinander in Beziehung zu setzen. Gleichzeitig regulieren Infrastrukturen im Sinne medialer und technischer Anordnungen die Zirkulation, Distribution und den Zugang zu Sound, Soundarchiven und -praktiken auf unterschiedliche Art und Weise. Dabei produzieren sie immer auch politische Strategien und Gegenstrategien mit, die auf den medial-technischen Voraussetzung der jeweiligen Infrastrukturen basieren.
  • Sonic Ecology. Nicht nur die Klassifikation von Sound und Soundobjekten, sondern auch durch Medien produzierte akustische Umgebungen (Sonic Ecologies) erfordern eine kritische Beschreibung und Reflexion. Wird Sound nicht als authentischer Ausdruck kultureller Ontologien, sondern immer auch als Produktion territorialer und akustischer Ökologien und Umgebungen (Dhanveer Singh Brar [2016]) verstanden, schließen sich Fragen der technischen Genese, der ästhetischen, sozialen und politischen Organisation, wie auch der Formen von Subjektivierung und Segregation in und entlang solch akustisch-medialer Ökologien an.
  • Mobilität und Migration. Akustische Medien arbeiten entscheidend an der Transgression oder Stabilisierung von Territorien mit. Aufteilungen oder Zersetzung des Raums durch staatliche, polizeiliche oder militärische Grenzziehungen können durch technische Standards oder Formate ebenso wie durch akustische Praktiken in Frage gestellt werden, etwa durch pirate radios oder andere Formen klandestiner Sender (Steve Goodman [2010]; Muhammed Haron [2015]), durch Tausch- und Übertragungspraktiken musikalischer Formen, ebenso wie durch industrielle Standards und Netzwerke. Gleichzeitig gilt es die Erfahrungen von Migration und Migrationsbewegungen, wie auch die Dokumentation von Migrationsrouten in Form akustischer Ereignisse und Aufzeichnungen aufzuarbeiten (Vassilis S. Tsianos, Brigitta Kuster [2021]; Tsianos, Holl, Ott [2015]) und als Verhandlung von Identitäten auf der einen, und als Zirkulation auf der anderen Seite zu begreifen: Zwischen «treks» und «tracks» (Johannes Salim Ismaiel-Wendt and Andi Schoon [2022]; Ismaiel-Wendt [2011]).

Wir laden dazu ein, in Beiträgen an die skizzierten Problem- und Fragestellungen anzuknüpfen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass gegenwärtige Transformationen des Hörens und der Hörkulturen, die maßgeblich durch Medienpraktiken mitbestimmt werden, neue Verbindungen von akustischen Praktiken des globalen Südens mit solchen des globalen Nordens denkbar machen können. Sehr erwünscht sind daher Einreichungen, die nicht nur analytisch-deskriptiv an der Schnittstelle von Medienwissenschaft und Sound Studies operieren, sondern auch solche, die begriffliche Festschreibungen infrage stellen und auf neue Art und Weise denkbar und produktiv machen.

Schwerpunktredaktion: Ute Holl, Emanuel Welinder

Ideen für mögliche Beiträge können sehr gern vor dem Einreichen der ausgearbeiteten Texte mit der Schwerpunktredaktion besprochen werden.

Einreichungen sind bis zum 29. Februar 2024 einzureichen: ute.holl@unibas.chemanuel.welinder@unibas.ch.

Autor*innen werden gebeten, die Zitierweise und Formalien ihrer Texte an den Style Guide anzupassen.



In the context of current debates on the decolonization of archives, the restitution of museum objects, and the examination of colonial history, the question of colonial practices and procedures underlying sound recordings and sound archives gains new urgency. Sound itself is a problematic and mainly strategic concept that exceeds the notion of the audible. It includes disturbing sounds or noises that exceed forms of cultural notation and understanding. Sounds invoke intercultural and technological power relations and should be examined in regard to questions of noise and interference. Media Studies, here not necessarily limited to Sound Studies alone, promise insights into the historical, technical as well as cultural conditions of recording, production, distribution, and reception of sounds, voices, and noise.
Building upon anthropological and cultural anthropological research (Rosalind Morris [2008]; Brian Larkin [2008]; investigations into colonial practices (Achille Mbembe [2001]; Britta Lange [2019]; Anette Hoffmann [2020]), studies in the context of imperial warfare (J. Martin Daughtry [2015]; Steve Goodman [2010]), and musicologist questions of «Reason and Resonance» (Veit Erlmann [2010]), the planned issue will raise question about the agency of the sonic but also about historical archives and the status of recorded sound as a historical source in general. In this regard the issue will pay special attention to the reorientation and integration of Sound Studies to the «Global South», which Gavin Steingo and Jim Sykes [2019] have programmatically initiated as a «Remapping». On the one hand, this «Remapping» involves uncovering ideological and hegemonic practices. On the other, by paying attention to strategies of disruption and disturbance, as well as to the power relations in sound recording and archiving, references to the postcolonial have to be uncovered. This pertains not only to the recording and production of sound documents but also to the dimensions of listening (Ana María Ochoa Gautier [2014]) and preservation. The question of the inaudible, which can be understood as the flip side of a theory and history of the audible (Jonathan Sterne [2003]), insists on critical perception of sounds and the media of their production. It once again points to the mediality of historiography and, to bring together the titles of two fundamental studies, suggests a «Remapping of Reason». This might be understood as a necessary precondition for all efforts of decolonization. We propose the following aspects for potential contributions:

  • Recording Systems: Recording systems known as «Aufschreibesysteme» in media studies (Friedrich Kittler [1985] quoting Schreber) need further examination in the context of Sound Studies. This means discussing the technical apparatuses for recording voices, sounds, and noises, different formats for storage or distribution (Sterne [2012]), as well as transfers and translations between different media and formats. Not only the history of technology is to be questioned. Questions about how different recording techniques for sound produce different acoustic representations, particularly of the Other and of Alterity (David Novak and Matt Sakakeeny [2015]), need to be raised.
  • Filters: Western cultures, cultural practices and forms of knowledge production can be described, following Gregory Whitehead, as generally involving practices that reduce disturbances and noise (Gregory Whitehead [1990]). From a Media Studies perspective, this can be understood as a problem of filters and filtering systems. For example, transcriptions of audio recordings in anthropology rely on a set of techniques and tools which transform an acoustic environment into text, including, among other things, pencil, paper, alphabets, writing, typewriters, computers, etc. Filtering systems can follow cultural rules or be technically implemented, such as through the characteristics of microphones, playback devices and algorithms. Even the process of digitization itself can be understood as filtering. This is why all audible material needs critical examination against the impression of authenticity. The masked effects of transcription and technical mediation as forms of colonial interference are at stake. Issues of inclusion and exclusion – deciding whether a sound is considered to be understood as signal or as noise – are also relevant here.
  • Sound Archives: Sound archives are often assumed to be hermetically sealed and unalterable (Miguel García [2017]). Especially in the context of decolonial efforts, it is essential to critically examine sound archives as (often colonial) institutions associated with a particular disciplinary order. As historical sources, sounds may stabilize and contribute to colonial historiography, but, re-examined in terms of their technical production, they may also contradict or refute historical assumptions. This discussion involves the production and transmission of sounds as knowledge as well as strategies for collecting, storing and organizing sound archives. Technical sound recordings can reinforce hierarchies between those recording and those being recorded, either perpetuating historical forms of domination or introducing new forms of control and classification. [See also Recording Systems and Filters above]
  • Classification of Sonic Objects: While critical studies of visual media, photography and cinematography, have been extensively examined as media of measurement and practices of measuring and classification, the reflection on sound in this context has only recently gained attention. Epistemic and hegemonic strategies differ in the realm of media-based Sound Studies. The
    voice, for instance, was particularly scrutinized in a colonial context as an object of phonetics and semantics, as a source for evidence, or as a form of agency, but scholars often refrained from listening to and understanding what actually was said and what else might have sounded [Adriana Cavarero [2005]). Britta Lange has raised this point convincingly (Britta Lange [2015]). However, it is not only semantic transcription that allows for an understanding of historical and social situations (Anette Hoffmann [2018]), but also the examination of sonic objects and sonic milieus in terms of the way they shape and determine space, environments and social relations (e.g. in recording and editing) as well as in terms of classification, aesthetics and politics, particularly from a gender-critical perspective.
  • Infrastructures and Distribution: Sound and sound objects, understood as «boundary objects» (Susan Leigh Star [2000]), are both robust and flexible, enabling the connection and interrelation of disciplines, discourses and techniques across boundaries. Simultaneously, infrastructures – understood as media-technical arrangements – regulate the circulation, distribution, and access to sound, sound archives, and practices in various ways. They also inherently produce political strategies and counter-strategies based on the media-technical prerequisites of the respective infrastructures.
  • Sonic Ecology: Classification of sound and sound objects require a critical description and reflection, as do acoustical environments produced by media (Sonic Ecologies). Understanding sound not just as an authentic expression of cultural ontologies but much rather as the production of territorial, historical and acoustic ecologies and environments (Dhanveer Singh Brar [2016]), raises questions related to technical genesis, aesthetic, social and political organization, as well as forms of subjectivity and segregation within and alongside such acoustic-media ecologies.
  • Mobility and Migration: Acoustic media play a crucial role in transcending territories if spatial divisions are subverted or challenged by state, police, or military border enforcement, or through technical standards and formats, as seen in acoustic practices like pirate radio or other forms of clandestine broadcasting (Muhammed Haron [2015], Steve Goodman [2010]). It is also important to explore the experiences of migration and migration movements, as well as the documentation of migration routes in the form of acoustic events and recordings (Vassilis S. Tsianos, Brigitta Kuster [2021]; Tsianos, Ute Holl, Peter Ott [2015]), thus examining identity negotiations on the one hand and circulation of knowledge on the other: between «treks» and «tracks» (Johannes Salim Ismaiel-Wendt, Andi Schoon [2022], Ismaiel-Wendt [2011]).

We invite contributions that engage with the issues and questions outlined above. Considering current transformations in listening and auditory cultures, significantly influenced by media practices and technologies, can enable new connections between acoustic practices of the «Global South» and those of the «Global North». We welcome submissions that not only operate analytically and descriptively at the intersection of Media Studies and Sound Studies but also challenge conceptual definitions and seek innovative and productive ways of thinking.

Focus Editors: Ute Holl, Emanuel Welinder.
Ideas for potential contributions can be discussed with the focus editors before submitting the finalized texts.
Submissions are to be send by January 31st, 2024 (due to translation into German)
to: ute.holl@unibas.ch, emanuel.welinder@unibas.ch.
Authors are requested to conform the citation style and formatting of their texts to the provided style guide:
https://zfmedienwissenschaft.de/sites/default/files/media/allgemein/downloads/ZfM_Styleguide_2022.pdf.