Algorithmische Bastelsynthesizer, akustische Interfaces und audioästhetische KI-Kollaborationen. Ein Gespräch mit Michael Harenberg

Maximilian Haberer im Gespräch mit Michael Harenberg, Professor für Musikalische Gestaltung und Medientheorie an der Hochschule der Künste in Bern

Michael Harenberg ist Komponist und Professor für Musikalische Gestaltung und Medientheorie an der Hochschule der Künste in Bern. Er studierte systematische Musikwissenschaft in Gießen sowie Komposition bei Toni Völker in Darmstadt. Seine Dissertation zu „virtuellen Instrumenten im akustischen Cyberspace“ verfasste er im Fach Medienwissenschaft an der Universität Basel, betreut von Georg Christoph Tholen.
Seine künstlerischen und wissenschaftlichen Schwerpunkte bilden neben digitalen Klangkulturen vor allem experimentelle Interfaces, virtuelle Instrumente sowie die Körperlichkeit elektroakustischer Musik im Kontext instrumentaler und installativer Settings. Michael Harenberg kann als einer der Pioniere der deutschsprachigen Sound Studies betrachtet werden: Von 1997 bis 2000 baute er gemeinsam mit Rolf Großmann den für unsere Forschung noch heute relevanten Schwerpunktbereich „((Audio))Ästhetische Strategien“ an der Leuphana Universität Lüneburg auf. Hiernach entwickelte er den Studiengang Musik und Medienkunst an der Hochschule für Musik und Theater (HMT) in Bern und war an der Konzeption und Gründung der Hochschule der Künste Bern (HKB) beteiligt, an der er ab 2002 den Diplomstudiengang Musik und Medienkunst leitete. Er war von 2004 bis 2014 Vorsitzender der „Deutschen Gesellschaft für Elektroakustische Musik“ und erhielt im Wintersemester 2016/17 die Edgar-Varèse-Gastprofessur für Computermusik des DAAD an der TU-Berlin.
Heute ist er Co-Leiter des Bachelorstudiengangs Sound Arts – Musik und Medienkunst sowie des Masterstudiengangs Contemporary Arts Practice an der Hochschule der Künste Bern.


Maximilian Haberer: Lieber Michael, ich freue mich sehr, mit dir heute über die Vergangenheit, Gegenwart und auch Potenziale der Klangforschung sprechen zu dürfen. Und klangvoll soll unser Gespräch auch beginnen, nämlich mit unserer traditionellen Frage nach so etwas wie einem Lieblingsklang oder Lieblingsgeräusch. Gibt es ein klangliches Ereignis, das du besonders gerne hast, das dich affiziert, bewegt oder in Schwingung bringt?


Michael Harenberg: Hallo Max, das freut mich sehr, dass wir hier sprechen können heute. Vielen Dank für die freundliche Einleitung. Und ja, die Frage nach dem Lieblingsklang. Ich mag die Frage auch nicht so gerne, ich glaube Sabine Sanio hat schon mal ganz charmant darauf hingewiesen, aber, wenn man sie denn ernst nimmt, dann würde ich am ehesten sagen, dass ich im Moment mit einem sehr interessanten kleinen Synthesizer beschäftigt bin, dessen Klänge ich im Moment sehr gerne habe. Das ist eine sehr verrückte Maschine aus Dublin, aus Irland, von einem, man muss wohl sagen Bastler, der diese Instrumente herstellt. Und es ist ein kleiner algorithmischer Synthesizer, der mich deshalb so begeistert, weil er etwas tut, was ich in meinem Buch über virtuelle Instrumente quasi prognostiziert habe: dass wir in Zukunft mit Maschinen, mit Synthesizern, mit Instrumenten anders kommunizieren werden. Und das praktiziert dieses kleine Gerät, und das macht der algorithmisch. Es ist relativ komplex, damit umzugehen, macht aber ganz wunderbare Dinge und ich bin im Moment sehr verliebt in diesen kleinen Bastelsynthesizer.


Michael Harenberg: Von meinem Werdegang her war es immer so, dass ich den Prozess, den ich kreativ gemacht habe beim Komponieren oder beim Improvisieren oder beim Musizieren, dass ich den eigentlich immer auch entsprechend intellektuell begleitet habe. Mich hat das, als ich systematisch Musikwissenschaften in Gießen studiert habe, schon sehr interessiert mit der elektronischen Musik, vor allen Dingen mit der amerikanischen Computermusik, was damals alles sehr theoretisch war, weil das konnte man nicht studieren. Es gab kein Angebot von Seiten der Hochschule, es gab nur Literatur und ich habe einfach sehr viel gelesen und die eigentliche Computermusik von Max Mathews und Lejaren Hiller und so viel später erst gehört. Ich habe sehr lange mich nur theoretisch damit beschäftigen können, weil es quasi gar keine Möglichkeit gab, das zu hören. Und diese Dinge haben mich in meinem eigenen Tun, was die Elektronik angeht, stark beeinflusst. Diese frühen Versuche, als man noch gar nicht so selbstverständlich mit Computern gearbeitet hat, sondern mit analogen Geräten, das hat mich eigentlich immer interessiert zu reflektieren; was macht man da eigentlich und woran arbeiten wir da eigentlich? Und das zieht sich bis zu den virtuellen Instrumenten, sodass ich dann zu den Medienwissenschaften eigentlich darüber gekommen bin, dass mich die Frage, wenn man mit Physical Modeling als Beispiel, mit selbst programmierten Modellen und Instrumenten, die gar keine reale Repräsentation mehr besitzen können, wenn man damit musiziert, was tut man dann? Was findet da eigentlich statt? Das war eine der Fragen, für die ich in der deutschen Musikwissenschaft leider nicht fündig geworden bin und dann sehr interessante Anknüpfungspunkte bei Christoph Tolen gefunden habe, der mir sehr viel Backgroundinformationen, Literatur und so weiter dazu zur Verfügung stellen konnte. Und so bin ich dann eigentlich zu den Medienwissenschaften gekommen.


Maximilian Haberer: Jetzt bist du nicht nur Professor an der Hochschule der Künste Bern, sondern auch Komponist und hast damit von Beruf aus schon einen praktischen Ansatz. Und auch Golo Föllmer, der in einer früheren Episode hier Gesprächspartner war, spricht immer gerne von sogenannten erfahrungspraktischen Zugängen, wenn es um die Vermittlung der Sound Studies geht. Welche Rolle spielt für dich die Praxis in der Lehre und betreibst du selbst so etwas in Richtung Artistic oder Acoustic Research?


Michael Harenberg: Ja, ich würde sogar sagen, bei uns oder hier an dem Studiengang, den ich mit Teresa Carrasco zusammen leite, ist es fast genau umgedreht. Es ist ein künstlerischer Studiengang, das heißt, wir bilden Komponistinnen und Komponisten, Musikerinnen und Musiker aus, im großen, riesigen Feld der Klangkunst, der Sound Art, der elektronischen Musik, der elektronischen Künste, der Computermusik, alle diese Spezialbereiche, die dann auch mit dazugehören. Also der Ansatz ist bei uns überhaupt nicht die Theorie, sondern der Ansatz ist bei uns die Praxis. Und ich weiß nicht, ob das eine Generationenfrage ist, aber die Kolleginnen und Kollegen, mit denen wir den Studiengang hier gegründet und aufgebaut haben, die kamen alle aus der Praxis. Also ich war glaube ich der einzige Beteiligte mit einem Background in Musik- und Medienwissenschaften. Die anderen waren Komponistinnen und Komponisten, Pianisten, Dirigenten, also alles Leute, die aus einer musikalischen Praxis kamen und diese musikalische Praxis in Bereiche der Performance Art, der elektronischen Musik, der Programmierung und so weiter verfeinert und verlängert haben. Und trotzdem spielt die Reflexion dessen, was wir tun in diesem Studiengang für die Studierenden auch eine große Rolle. Also es gibt durchaus einen großen Bereich der Reflexion des eigenen Tuns. Wir legen großen Wert auf die Projekte, die hauptsächlich von den Studierenden selbst definiert werden, die sie als Semesterprojekte oder als größere Projekte durchführen. Das sind eigentlich nie wir, die das definieren, sondern das sind eigentlich immer die Studierenden, die äußern, in welche Bereiche oder mit welchen Mitteln sie jetzt im Moment gerade arbeiten möchten. Und wir supporten das dann und coachen das quasi so gut es geht aus den unterschiedlichen Fächern heraus, die wir bei uns unterrichten. Also ist die die Reflexion immer Bestandteil dieses Prozesses. Warum interessiert dich das? Was daran interessiert dich? Kennst du andere Projekte, die in die ähnliche Richtung gearbeitet haben? Wir haben sofort auch immer eine Anbindung an die historischen Projekte, an die historischen Experimente der Vergangenheit, die eine große Rolle spielen, wenn man sich als junger Mensch heute in diesem Bereich orientieren will. Und wir unterrichten auch Theorie. Es gibt auch explizit das Fach Medientheorie. Neben den ganzen musiktheoretischen Studien, die auch im klassischen Bereich stattfinden, haben wir Fächer erfunden, wie eine elektronische Gehörbildung. Das ist etwas, was wir selbst entwickelt haben. Und wir haben ein Fach, was in der Abkürzung SOS heißt, das steht für Stimme-Ohr-Schrift, wo also genau diese Zusammenhänge von dem Körperlichen, der Stimme als dem unmittelbaren Ausdruck des Körperlichen, dem Ohr, dem Hören und dem Schreibprozess, die auch technische Prozesse sein können im 21. Jahrhundert, wo das zusammen theoretisch reflektiert wird. Also das spielt eine große Rolle. Es ist aber nie der Ansatzpunkt. Der Ansatzpunkt sind immer praktische musikalische Projekte.


Maximilian Haberer: Jetzt haben wir ein wenig über die Vergangenheit der Sound Studies geredet und auch über die Gegenwart, wie sie beispielsweise bei euch in Bern vermittelt wird. Ich würde jetzt noch gerne mit dir etwas länger über die Zukunft und die Entwicklungspotenziale dieser Nicht-Disziplin reden. Du als jemand, der viel Computermusik macht und auch viel zu Computermusik geforscht hat, hat sicherlich schon länger mit Algorithmen und Künstlicher Intelligenz zu tun. Würdest du sagen, das ist was, wo wahrscheinlich jetzt in den nächsten Jahren noch viel passieren wird oder wo du auch noch vorhast viel zu forschen? Oder was sind sonst so deiner Meinung nach Themen, die wahrscheinlich angegangen werden oder die angegangen werden müssten?


Michael Harenberg: Ich sehe das auch als ein interessantes Feld. Und vor allen Dingen sehe ich aber auch, dass außer sehr viel Hype und sehr vielen Buzzwords und Projekten, die wirklich Grundlagenforschung betrieben haben, noch nicht sehr viel passiert ist. Vor allen Dingen nicht im künstlerischen Bereich. Also ich sehe da wirklich ein großes Feld und interessante Möglichkeiten. Aber es hat noch niemand wirklich so diesen Ansatzpunkt gefunden, wie man das wirklich fruchtbar machen kann, wie das produktiv werden kann. Also wenn ich mir diese ganzen Sachen angucke im Bereich der Popmusik, wo mit künstlichen Stimmen und solchen KI-modulierten Stimmen und neuronalen Networks irgendwie Musik entworfen wird, die dann immer im Stil von irgendwas Traditionellem ist, das finde ich alles überhaupt gar nicht interessant, sondern ich erhoffe mir eigentlich wirklich davon Forschungsansätze oder auch künstlerische Ansätze, die uns wirklich etwas zeigen, was wir als Menschen mit dieser digitalen Technologie bisher so vielleicht nicht gemacht haben. Also ein bisschen die Fragestellung wie in der algorithmischen Komposition: Ich kann die die Metaebene sehr genau definieren und im Einzelfall wird der Computer dann entscheiden, was in diesem Reglement, was ich aufgestellt habe, stattfinden kann. Und das alte Diktum von Gottfried Michael Koenig, der sich von diesen Prozessen überraschen lassen wollte, der überrascht sein wollte von dem, was dann passiert, um nicht immer nur das zu komponieren, was ihm gut gefällt und was er gerne möchte, was er gerne mag. In diesem Denken könnte in der Zukunft etwas passieren. Diese eigenartigen Verschaltungen werden im Moment immer sehr vermenschlicht und für das künstliche Denken und die Künstliche Intelligenz wird immer gerne der Begriff des Lernens benutzt. Ich sehe das viel abstrakter, denke aber, dass es durchaus Prozesse sein können, die uns neue Möglichkeiten des Umgangs mit Technologie aufzeigen könnten.


Maximilian Haberer: Ich denke ein ganz gutes Beispiel ist dafür vielleicht von Holly Herndon Spawn, wo sie ja eine Künstliche Intelligenz ganz viele Entscheidungen hat auch treffen lassen und das dann insofern auch eine Form von Acoustic Research vielleicht ist, da noch mal diese Logik nachzuverfolgen. Und dass es am Ende dann so eine Form der Koproduktion ist, aber weniger von einer menschlichen Agency heraus, sondern dass man guckt, welche neuen Formen der Koproduktion da eben auch vielleicht möglich sind. Also wenn ich das richtig verstehe, forderst du weniger flashy keywords, weniger wir machen jetzt alle was mit KI, mit Künstlicher Intelligenz und mit irgendwie Überwachung, sondern eher, dass man versucht da neue Ästhetiken heraus zu entwickeln, aber eben auch die Technologie irgendwie zu befragen.


Michael Harenberg: Und da sind wir wieder beim Einstieg. Ich habe über meinen kleinen neuen Synthie erzählt, den ich hier habe aus Dublin, der so eine mathematische algorithmische Modellierung im Hintergrund hat, mit der man spielen kann, und das ist eigentlich schon der Ansatz, weswegen mich diese kleine Maschine so fasziniert im Moment, weil das ist wirklich so etwas wie collaborating with the machine, wie dieser berühmte Text heißt, der auch zum Kanon irgendwie dazugehört mittlerweile. Das war etwas, was ich in den 10er Jahren des 21. Jahrhunderts, als ich meine Dissertation geschrieben habe in Basel, was ich damals gedacht habe, dass das Formen sein könnten, die in der Digitaltechnologie stecken, die wir noch gar nicht erschlossen haben, weil uns die Interfaces, weil die Möglichkeit des Austauschs, des wirklichen Spielens mit diesen Möglichkeiten noch gar nicht wirklich richtig gegeben ist. Und ich sehe, dass die Technologie sich in eine Richtung entwickelt, wo das immer einfacher wird, immer spielerischer wird, wo die Interfaces immer spielerischer werden, wo wir mit den Smartphones ein Sammelsurium an Sensoren mit uns rumschleppen, für die ich vor zehn Jahren noch einen riesigen Park an Technologie gebraucht hätte, um damit zu arbeiten. Und das kann man jetzt einfach so nutzen. Also die Zugänglichkeit dieser Technologien, die ermöglicht uns jetzt auch eine andere Umgehensweise damit. Und damit verändert sich das natürlich auch in der Repräsentation unserer Vorstellung, was wir da eigentlich tun und womit wir es tun. Und in dem Feld könnte so etwas wie eine sogenannte Künstliche Intelligenz ein Verfahren sein, was uns auf Spielweisen bringt, die wir aus unserem Background noch nicht entdeckt haben.


Maximilian Haberer: Ja, das ist natürlich ein schöner Rückverweis, bei der man deine Verankerung in der Medienwissenschaft, auch in der Kittler’schen Medienwissenschaft, vielleicht noch mal wiedererkennt; eben zu sehen, inwiefern Medien auch Wahrnehmung und Kultur strukturieren; und daher vielleicht auch so ein genuines Interesse an Interfaces. Da erscheint es eigentlich ganz passend, dass unsere nächste AG-Tagung sich auch genau mit diesem Thema Interfaces befasst. Das ist ja dann eine gemeinsame Tagung der AG Sound Studies mit der AG Interfaces der Gesellschaft für Medienwissenschaft, die sich eigentlich genau diesem Schnittpunkt widmet.


Michael Harenberg: Ja, das ist perfekt. Das ist wirklich sehr gut und ich freue mich sehr darauf, auch auf die Beiträge, weil ich glaube, das ist wirklich eines der sehr spannenden Felder im Moment, wo sehr viel passiert auch, wo gerade sehr viel in Bewegung ist. Und vielleicht kann ich das gerade nutzen, um noch auf den Hintergrund unserer Forschung in Bern hinzuweisen. Wir haben ein großes Forschungsprojekt, ongoing seit 2007/2008, das heißt wie der gleichnamige Band bei transcript „Klang (ohne) Körper“. Und das „ohne“ ist eingeklammert, sodass man Klangkörper oder Klang ohne Körper lesen kann. Und was wir damit meinen mit diesem Klang ohne Körper, ist einfach die Bedeutung des Körpers in den elektroakustischen Künsten, also in all den Bereichen, wo die Rolle der Körperlichkeit nicht mehr durch ein instrumentales Tun, wie in den klassischen Instrumenten, wie in der klassischen Musik, einfach nicht mehr gegeben ist. Also wie man einen Controller auf einer Bühne spielt, wie man mit einem Sensor auf der Bühne agiert, wie man mit einem Synthesizer auf der Bühne etwas improvisiert, das ist völlig unklar, weil die Geräte, die Instrumente, die Tätigkeiten, die Performance selber durch nichts vorgegeben werden. Die sind ja völlig frei definierbar in allen Dimensionen der Körperlichkeit, der Räumlichkeit, der Bewegung, was auch immer ich noch tun möchte. Das heißt, ich muss die wie miterfinden, ich muss die als Bestandteil des Kompositionsprozesses mitdefinieren. Für uns hier in Bern gehört immer die Frage der Performance im Vordergrund. Auch wenn das eine Klanginstallation ist, am Ende stellt sich trotzdem die Frage von spezifischen Körperlichkeiten, zum Beispiel der Besucher, die diese Installation betreten. Aber erst recht bei den Performancearbeiten, die auf einer Bühne dann wirklich stattfinden und gezeigt werden, ist immer die Frage: Ergibt sich aus der Komposition, ergibt sich aus dem Ansatz des Stückes, ergibt sich aus dem Background irgendeine Möglichkeit, auch eine bestimmte Art der Bewegung, der Präsentation, des Darstellens bestimmter Handlungen und bestimmter körperlicher Tätigkeiten, die man dann tut; gibt es etwas, was man aus dem Stück direkt ableiten kann? Also dieser transcript-Band „Klang (ohne) Körper“, der war ein Schlüsselband für die Entwicklung unseres Studiengangs. Nach dieser ersten Phase, nachdem wir den Diplom-Studiengang gerade fertig entwickelt hatten und dann im Rahmen der Bologna-Prozesse einen Bachelor und Masterstudiengang noch mal neuentwickeln mussten, war also diese Frage nach der spezifischen Körperlichkeit in den elektronischen Künsten eine der Schlüsselfragen. Und das ist es bis heute geblieben. Und daher erklärt sich wahrscheinlich dann auch leicht der Zugang zu den Interfaces, die ja quasi die Schnittstellen sind, mit denen wir uns in der Verbindung mit den Technologien, mit denen wir arbeiten, die wir bedienen müssen.


Maximilian Haberer: Also geht es um das Maschine-Körper-Verhältnis, aber vor allem auch, wenn man ein bisschen medienwissenschaftlich darüber sprechen möchte, um Dispositive in einer gewissen Weise?


Michael Harenberg: Ganz bestimmt. Ja, natürlich, klar, darum geht es. Und es müssen noch nicht mal technische Dispositive sein. Es kann ja sein, dass jemand eine algorithmische Komposition macht für ein traditionelles Instrument. Dann ist das ja trotzdem keine traditionelle Komposition, die ich auf einem Konzertflügel in traditioneller Art und Weise spielen muss. Und schon stellt sich die Frage: Ja, aber wie könnte man sie denn noch spielen? Also gibt es eine andere Möglichkeit, die Prozesse der algorithmischen Generierung einer Partitur oder eines Spielvorgangs, einer körperlichen Verfasstheit, dann auch instrumental darzustellen? Also das bezieht sich wirklich auf den ganz großen weiten Bereich der Klangkunst, der Sound Arts in Bereiche der Performance hinein, die in diesem ganzen Denken eine sehr große Rolle spielen. Aber das Dispositiv als Schlüsselbegriff ist sicherlich genau richtig. Das ist genau die Spur, die wir verfolgen und wo wir auch herkommen.


Maximilian Haberer: Jetzt sind wir schon fast am Ende von dieser Episode von „Sounds of Sound Studies“. Und wie am Anfang steht nun auch am Ende eine Frage nach einem konkreten Klang oder Geräusch, nämlich nach einem Geräusch, das du überhaupt nicht ausstehen kannst.


Michael Harenberg: Ja, ich würde mal sagen, mein Feld von Geräuschen, von Klängen, von Musiken, die ich bei näherer Betrachtung dann doch interessant finde und, wenn man sie sich mal genauer anhört, dann doch spannend finde, ist eigentlich relativ groß. Ich weiß gar nicht, wohin ich diese Frage beantworten soll. Vielleicht am ehesten in Richtung Zahnarzt. Ich glaube, da gibt es wirklich unangenehme Dinge, denen ich nur sehr schwer, glaube ich, etwas Positives abgewinnen könnte. Weil das sind ganz oft Dinge, die sich dann auch über den Knochenschall, über den Körperschall fortsetzen, sodass sie man gar nicht als akustisches Ereignis mit dem Ohr hört, sondern eher gesamtkörperlich wahrnimmt, und das kann wahnsinnig unangenehm sein. Also das wäre so meine schlimmste Vorstellung, die ich haben kann.


Maximilian Haberer: Dann verbleibe ich noch mit besten Wünschen für gesunde Zähne und hoffe, dass uns das allen erspart bleibt und möchte mich ganz herzlich bei dir bedanken, Michael, für dieses schöne Gespräch.