Situative Klänge und dekoloniale Perspektiven. Ein Gespräch mit Holger Schulze

Ania Mauruschat im Gespräch mit Holger Schulze, Professor für Sound Studies an der Universität Kopenhagen

Holger Schulze, Jahrgang 1970, ist vielleicht der bekannteste deutsche Vertreter der Sound Studies. Nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern v.a. auch auf internationaler Ebene kennt man seinen Namen. Seit 2014 ist er Professor für Musikologie mit Lehrstuhl für Sound Studies an der Universität Kopenhagen, obwohl er nie Musikwissenschaft studiert hat. Nach seinem Studium der Komparatistik, Philosophie, Theater- und Medienwissenschaft in Erlangen wurde er dort 1998 mit einer komparatistischen Arbeit zur Literatur-, Musik- und Kunstgeschichte der Aleatorik promoviert. 2007 habilitierte er sich mit einer Untersuchung zum Verhältnis von Intimität und Medialität an der Universität der Künste (UdK) Berlin. Von 2010 bis 2016 leitete Schulze das internationale DFG-Netzwerk “Sound in Media Culture“ und von 2011 bis 2017 war er Leiter des DFG-Projektes „Funktionale Klänge“ an dem von ihm gegründeten Sound Studies Lab.

Spielten in seiner Habilitationsschrift die Medien noch eine zentrale Rolle, so sind sie inzwischen immer mehr dem Sound und der Anthropologie gewichen. 2018 erschien sein englischsprachiges Hauptwerk The Sonic Persona. An Anthropology of Sound, 2020 seine Monographie Sonic Fiction und das von ihm gemeinsam mit Sanne Krogh Groth herausgegebene Bloomsbury Handbook of Sound Art. 2021 schließlich gab er das Bloomsbury Handbook of the Anthropology of Sound heraus.

Für eine neue Episode unseres Podcasts “Sounds of Sound Studies” habe ich Holger Schulze in Kopenhagen getroffen. Besucht man ihn dort in seinem Sound Studies Lab, so findet man ihn hinter der mit zahlreichen Konferenzplakaten beklebten Glaswand seines Büros in einem Raum voller Bücher. Auf den ersten Blick erinnert nichts an ein Labor, wie man es sich vielleicht mit außergewöhnlichen Maschinen zur Klangerzeugung vorstellt. Spricht man ihn darauf an, erklärt Schulze:

Holger Schulze: Ja, das stimmt auch. Das ist so, das Sound Studies Lab ist ja kein Entwicklungslabor. Es ist ja eher so ein Feldforschungs- und Projektlabor. Ich nenne es auch gerne eher ein Research Environment. Es soll eben die Grundlage bieten für Forschung und es soll die Forschung institutionell tragen. Aber es geht nicht so sehr darum, jetzt bestimmte technische Apparaturen oder technische Präferenzen wie 3D Sound oder gewisse Audio-Entwicklungen per se zu befördern, sondern eine Art von mobiler und agiler Forschung zu unterstützen. Eben dass Kolleginnen und Kollegen so wie du oder auch andere, PhDs, Erasmus-Trainees, Guest Fellows und andere hierherkommen und mit uns und mit den Leuten, die gerade bei uns sind, in Kontakt treten können und im Gespräch bleiben, weiterarbeiten, ihre Projekte entwickeln und dann die Projekte dort weitertreiben, wo immer sie dann hingehen. Also es ist natürlich in dem Sinne kein Studio, wie man sich vielleicht das Studio für akustische Kunst oder das ORTF vorstellen könnte, sondern es ist ein Projektraum. Und das ist eben mein großes Büro, wo auch viele Treffen stattfinden und Beratungen und Entwicklungen. Insofern ist es natürlich ein theoretischer Ort, aber ein Ort, der eben Projekte anstößt, unterstützt und weitertreibt.

Holgers Lieblingssound

Ania Mauruschat: Lass uns doch gleich über was ganz Praktisches und Konkretes sprechen: Dein Lieblingssound. Gibt‘s so was?

Mein Lieblingssound ist im Grunde der Klang, den ich sehr gerne höre, der mir große Erleichterung, auch Freude, auch Genuss bereitet und den ich je nachdem wo ich bin, mehrmals oder einmal am Tag, genieße. Und zwar ist das der Klang, wenn nach einiger Zeit Erhitzung das Ventil einer Espresso Kanne, einer Espresso Macchinetta sich öffnet und das schwarze Gold dort raus fließt.

Das verkörpert sehr schön, dass es natürlich bei Lieblingsklängen nie einfach nur um Klänge geht, sondern sehr oft um Lebenssituationen, um Erwartungen, um Situationen, in denen man vielleicht überfordert ist und dann Genuss erlebt oder Erleichterung. Und in denen man auch Klänge immer im Kontext und im körperlichen Bezug wahrnimmt. Das ist etwas, was mir sehr wichtig ist, und das ist in dem Klang definitiv der Fall, d.h. die Freude oder mein Genuss im Hören, wie sich dieses Ventil öffnen und Espresso raus strömt. Dabei spielt natürlich auch die Vorfreude auf den Espresso, den es dann danach gleich gibt, eine Rolle. Und insofern gibt dieser Lieblingssound glaube ich auch schon wieder, was mir an Klängen wichtig ist und was mein Klangverständnis wiedergibt.

Situatives Klangverständnis

Wie würdest du es auf den Punkt bringen? Was ist das?

Es ist ein situativ verankertes Klangverständnis, es ist ein körperliches und ein alltagsbezogenes Klangverständnis. Da können natürlich auch ästhetische Aspekte und Aspekte der Theorie reinspielen. Aber im Grunde geht es immer um Situationen, in denen wir ganz konkret Klänge hören und in denen bestimmte Situationen und Räume und körperliche Bezüge eine Rolle spielen. Den Klang als abstraktes Signal untersuche ich selten und wenn, dann ist es selber wiederum eine Fiktion, die sich darum rankt. Aus meiner Perspektive ist der Klang als abstraktes akustisches Signal eine Fiktion, ist eine konstruktive Fiktion, die man für die Produktion braucht, die man auch zur Produktion nutzt, die aber mit dem Hören in Alltagssituationen nicht viel zu tun hat. Dann sind Klänge immer situiert, gebunden, körperlich verankert, mit Begehren oder Ablehnung besetzt, das heißt Klanggestalt, -materialität und bedeutung, körperlicher Bezug, das möchte ich ungern voneinander lösen. Und ich glaube, für eine zeitgemäße Definition von Klang braucht es auch alle diese Elemente.

Ich kann mich erinnern, dass meine erste Seminararbeit in der Theaterwissenschaft eine war über den Klang in Kubricks 2001: A Space Odyssey. Um 1992/91 oder so habe ich die geschrieben. Also da war das schon sehr sichtbar für mich, sehr hörbar. Die Promotion ging über Aleatorik und von der Öffnung in die zufälligen oder randomisierten, kontingenten Klänge in der Kunst und dem Alltag kam dann quasi der Sprung zu den Klängen in allen Kontexten. Also schon bei dieser Arbeit zur Aleatorik, in der es eigentlich um Texte geht, um randomisierte Texte, kamen immer mehr Bilder und Techniken und eben auch Klänge hinein. Darin schreibe ich auch über Stücke von Brian Eno und von Heiner Goebbels. Und es kommen immer mal wieder Hörspiele darin vor, der Monolog der Terry Jo nach Max Bense und so, die eine Rolle spielen diesem Buch. Und dann habe ich mich immer weiter dorthin bewegt, war dann zeitweise Postdoc und Koordinator an dem ersten künstlerisch-wissenschaftlichen Graduiertenkolleg an der UdK zur Praxis und Theorie des künstlerischen Schaffensprozesses. Und von da aus ging es dann immer weiter hinein in den Klang und in die Klanggestaltung und in die Anthropologie dann auch. Dabei war für mich tatsächlich die Auseinandersetzung mit der historischen Anthropologie in Berlin wichtig, als sehr interdisziplinäre Strömung mit Philosophen, Soziologen, Kunstwissenschaftler, Literaturwissenschaftler und Ethnologen. Alle Richtungen der Geisteswissenschaften, Theologie, alles Mögliche traf dabei aufeinander. Das hat mich weiterhin geöffnet und mir klar gemacht: Gut, wenn ich mich weiterhin mit Klängen und ihrer Kontingenz und ihrer Positivität auseinandersetzen will, dann ist das Anthropologische ein Thema, weil natürlich die Frage ist: „Wie gehen Menschen damit um? In welchen Situationen verfängt das? In welchen Situationen spielt das eine Rolle?“ Da habe ich dann sehr viel gemacht und habe auch die erste Konferenz und auch den ersten Sammelband zu dem Thema in diesem Umfeld gemacht, nämlich die Konferenz zur Klanganthropologie. Das war 2006, in dem Jahr, als wir auch den Studiengang Sound Studies an der UdK in Berlin gegründet haben. Und so habe ich mich dann immer weiterbewegt. Die Habilitation hat dann Anthropologie und Medien verbunden, und schon einige Begriffe entwickelt, so was wie „die mediale Bühne“, „die mediale Persona“, die dann in der „Sonic Persona“ sich weiterentwickelt hat. Also von meiner Perspektive ist es quasi eine graduelle Entwicklung von Literatur über Klänge und Medien zur Anthropologie, zur Klanganthropologie, Sonic Anthropology. Insofern sucht sich mein Denken oder meine Forschung quasi seinen den Weg. In meiner Wahrnehmung selber habe ich das Gefühl: Ja, ich komme immer näher an das ran, was mich interessiert, ich finde die Methoden, ich finde die Themen, und mir scheint, dass das in vielen akademischen Biografien ganz ähnlich ist. Man beginnt, wo man halt hinfällt im Leben und mit der ersten Ausbildung und den ersten Interessen, und dann merkt man, wo es spezifischer interessant ist, weil man selber sich ja verändert, weil die Welt sich verändert und die Forschung sich verändert. Man begegnet anderen Menschen. Und so scheint mir, dieses schrittweise Annähern an die wirklichen Herzensthemen ist in vielen Biographien so ein typischer Weg.

Die Entwicklung der Sound Studies in Deutschland im internationalen Vergleich

Ich finde diese biografische Entwicklung sehr interessant. Aber wenn wir jetzt mal auf einer etwas abstrakteren Ebene über die Entwicklung der Sound Studies sprechen, denn das ist ja auch das Thema, der Gegenstand von unserer Podcast-Reihe, weil es ja doch eine relativ junge Disziplin ist, die sich zugleich aber auch schon etabliert hat. Wie würdest du die Entwicklung der Sound Studies skizzieren?

Im internationalen Vergleich finde ich interessant, dass die Sound Studies sich im deutschsprachigen Raum anfangs relativ eigenständig entwickelt haben, aber zugleich doch ziemlich konsistent mit der internationalen Entwicklung in einer gewissen Hinsicht. Und zwar erschien 2004 der erste Artikel – das ist für mich immer so der Gründungsartikel – von Karin Bijsterveld und Trevor Pinch in dem Journal Social Studies of Science zu „Sound Studies: New Technologies and Music“. Dort taucht zum ersten Mal der Begriff Sound Studies federführend als Terminus für ein Fachrichtung, eine Forschungsrichtung sogar im Titel auf. Das ist die erste mir bekannte Nutzung, die wirklich wissenschaftlich relevant ist. Insofern muss man sagen, diese beiden Autoren sind quasi die Taufpaten. In einem ähnlichen Zeitraum aber, seit 2001, war ich betraut worden mit einigen Kollegen eine Gesprächsreihe zu Sound und Klang im Design, in der Gestaltung, in der Theorie für die Universität der Künste zu entwickeln, damals noch unter dem Präsidenten Martin Rennert. Das haben wir entwickelt und ich habe sehr schnell gemerkt, dass es da viele Themen gibt, die sich in der Lehre auch umsetzen lassen. Damals war das für uns noch sehr offen, wie das Ding heißen könnte. Vermutlich auch durch Lektüre eines solchen Artikels, den ich damals vielleicht schon wahrgenommen habe und andere auch, stießen wir in vielen Debatten dann auch auf den Begriff der Sound Studies. Wie der genau in unseren Debatten entstanden ist, weiß ich gar nicht. Aber irgendwann war das halt eine schlüssige Form, von der wir alle damals in dem Studiengang sehr überzeugt waren. In der Entwicklung waren neben mir eben auch Carl-Frank Westermann, Karl Bartos und Sabine Breitsameter. Wir vier haben das für uns, für die Hochschule quasi entwickelt als ein Format: Ich als sehr vom Akademischen herkommend und auch vom Wissen um das was Hochschulen brauchen, Carl-Frank Westermann vom Sound Branding, Karl Bartos auch viel mit Sounddesign befasst und Sabine Breitsameter viel mit Radiokunst und Klangkunst. Und so kam das zusammen. Mir oblag halt auch ein bisschen die Rolle, weil ich halt der einzige Voll-Akademiker in der Runde war, zu sagen: „Okay, wie lässt sich das in eine akademische Form für einen Studiengang bringen?“ Also das Programm auch zu schreiben und die Kollegen so zu ermutigen beizutragen und zu gucken, wie das zusammenkommt und auch eine Form annimmt. In diese Jahre fielen dann auch die ersten großen Publikationen international, und forscherisch. Da ist ein großer Unterschied meines Erachtens, und das sehe ich noch heute so: die wichtigsten Bücher der Sound Studies sind überwiegend im englischsprachigen Raum erschienen. Es gibt natürlich immer wieder interessante Studien, auch im deutschsprachigen Feld, die auch wichtig sind. Aber wenn man sich den Kanon, wenn man so will, der Bücher anschaut, die immer wieder zitiert werden, die übermäßig zitiert werden, sind das oft Bücher von Autoren, die auf Englisch erschienen sind, aus der englischsprachigen Forschung wie von Jonathan Sterne, Karin Bijsterveld, und vielen anderen, Salomé Voegelin zuletzt viel. Das ist in dem Sinne eine sehr englischsprachige Forschung, wo es dann in meiner Wahrnehmung auch ein bisschen gebraucht hat, ehe das deutsche Forschungsfeld, das sich eben mit Kulturwissenschaft des Klanges, mit Klangpraktiken, mit Klanggeschichte, mit Klang und Gestaltung auseinandergesetzt hat, verstanden, dass das ein wichtiger Horizont ist und wo es am Anfang auch so ein bisschen eine gewisse, teilweise immer noch spürbare Distanz gab oder Unsicherheit, ob das nicht etwas ganz anderes ist: „Möchte man sich darauf einlassen? Der Begriff klingt sehr attraktiv, aber ist er nicht vielleicht zu attraktiv? Ist das einer deutschen Uni und dem deutschen Akademiker überhaupt wohlanständig, so ein Begriff auch zu nutzen?“ Das hat, glaube ich, ein bisschen gedauert. Und mir scheint, das Netzwerk, das Jens Gerrit Papenburg und ich, damals noch gemeinsam mit Maria Hanáček, gegründet haben, also 2010 beantragt haben bei der DFG und dann gegründet haben, dass wir dazu einiges beigetragen haben, weil das das erste Netzwerk war, das halt viele internationale Forschung – namhafte Forscher wie Jonathan Stern, Karin Bijsterveld, Michael Bull, Veit Erlmann – immer wieder in ganz vielen Netzwerktreffen überall in Europa, London, Wien, Berlin zusammenbrachte.Dann gab es noch das HörWissen-Netzwerk von Daniel Morat und anderen, die haben das ähnlich gemacht, auf einer anderen Ebene, eher geschichtlich orientiert. Aber so gelang es glaube ich, durch diese Netzwerke und in dieser Forschung das zusammenzuführen und die deutsche Forschung auch auf den Stand der internationalen und in den Diskurs zu bringen. Aber nach wie vor scheint mir oft, dass – mit Verlaub – der angelsächsische Diskurs, der englischsprachige Diskurs schon noch dichter, komplexer und wie mir scheint auch komplizierter und herausfordernder ist als der deutsche, der sich in meiner Wahrnehmung bemüht, in der Forschung dann doch deutsche Traditionen sehr hoch zu halten und vor allem deutsche Referenzen zu nutzen und oftmals teilweise eher punktuell internationale nutzt oder dann eben auch gleich auf Englisch publiziert, weil es Sinn macht. Das scheint mir gegenwärtig noch so ein gewisses Ringen zu sein, in manchen Richtungen, aber in meiner Wahrnehmung hier aus Kopenhagen ist es so, dass nun mal die englischsprachigen Publikationen den Diskurs weiterhin bestimmen und prägen.

Deutsche Berühungsängste

Hast du eine Erklärung oder Überlegungen dazu, warum es im englischsprachigen Raum so viel leichter war, dass sich die Sound Studies entwickeln konnten und warum es im deutschsprachigen Raum diese Berührungsängste gibt? Oder warum man sich mit Sound, etwas so Leichtem und Flüchtigem, im deutschsprachigen Raum so schwer tut, und warum es im englischsprachigen Raum relativ leichthändig und gekonnt gehandelt wird?

Ich glaube, du sprichst das schon ganz richtig an. Sowohl der Begriff des „Sound“, als auch der Begriff der „Studies“ sind für traditioneller gesonnene deutsche Forscher problematisch, weil beide für viele unterdefiniert erscheinen. „Was ist eigentlich Sound? Heißt es nicht eigentlich Klang oder spricht man über Geräusch? Was ist das eigentlich? Oder Atmosphäre? Von was sprechen wir hier eigentlich?“ Und mit den Studies ist das ganz ähnlich: „Muss es nicht Wissenschaft geben? Was ist denn die Methode dieser Wissenschaft? Wie sind denn die Begriffe definiert? Kann man denn überhaupt darüber sprechen, wenn das alles nicht klar ist?“ Das sind so Fragen, die am Anfang sehr oft gestellt wurden. Jetzt immer weniger, aber doch immer wieder noch. Mir scheint, dass der angelsächsische Diskurs viel offener und inkludierender ist, da der Begriff Sound ja auch extrem inkludierend ist und diese Vielfalt von „Klang, Lärm, Geräusch“ in sich trägt. Genauso auch der Begriff der „Studies“, der halt erlaubt, Forschungsfelder zu eröffnen, Forschungsfelder zu beginnen, wo eben genau keine Methode da ist, wo genau nicht die Begriffe definiert sind, wo genau nicht vollständig klar ist, um was es genau gehen könnte, aber dafür ein ungefähres Feld klar ist: „Da muss man forschen.“ Das sind in meiner Wahrnehmung unterschiedliche Verständnisse von Forschung. Aber auch das deutsche Verständnis verändert sich natürlich sehr, hat sich auch schon sehr verändert, und was ich jetzt so als Gegensatzpaar zeichne, ist natürlich ein kleines Zerrbild, aber in einzelnen Gesprächen taucht das immer wieder so auf, da man merkt, dass es diese Differenz noch gibt. Und da scheint mir die geringere Disziplinhörigkeit und Disziplinfixiertheit der angelsächsischen Forschung insgesamt definitiv hilfreich, weil aus dem Ausland, aus dem dänischen Ausland, aber auch aus dem angelsächsischen Ausland, wirkt die deutsche Forschung oft sehr disziplinversessen: Dass man das Gefühl hat, die Disziplin aufrechterhalten, sie durchdefinieren und immer bei ihr bleiben zu müssen, das ist sehr wichtig.

Jeder hat seinen kleinen Schrebergarten.

Genau. Aber wenn man sich die großen Forscher anschaut in unserem Feld: Viele wissen gar nicht, dass Jonathan Sterne eigentlich in Communication Studies arbeitet. Karin Bijsterveld ist meines Wissens nach eigentlich Historikerin, Michael Bull kommt aus den Film Media Studies mit einem starken Critical Theory background. So hat jeder seinen Hintergrund, aber am Ende tragen sie alle zu dem Sound Studies bei. Das ist zwar interessant und trägt inhaltlich einiges bei, aber ist am Ende ist es im Grunde unbedeutend, wo die Kollegen herkommen. Im deutschen Umfeld wird das oft anders gesehen und da herrscht oft auch ein bisschen mehr Gatekeeping: Wer darf über welches Thema schreiben? Das ist glaube ich im angelsächsischen, internationalen Raum ein bisschen anders. Aber wie gesagt, es verändert sich ja zum Glück auch im deutschen Raum, wo die Macht der Disziplinen natürlich weiter auch da ist, auch durch die Fachgremien in Forschungsinstitutionen, die auch ihre Berechtigung haben. Aber selbst da mildert sich diese gewisse Hybris, wie ich sagen würde, der Disziplin ab und die Themen rücken mehr in den Vordergrund und eine Gegenstandsorientierung wird wichtiger: „Über was forschst du? Ah, da gibt verschiedene Methoden, toll.“  Und nicht die traditionelle deutsche Haltung: „Ich forsche in diesem Bereich – über was eigentlich? Na ja, erst mal bin ich für die Disziplin da.“

Sound Studies definieren

Ich frage jetzt trotzdem mal einfach: Hast du so was wie eine Definition von Sound Studies? Kann man das irgendwie definieren oder wie erklärst du jemandem, für was du Professor bist, der das nicht kennt?

Also wenn ich mit Menschen rede, die mit der Uni oder Hochschule und dem akademischen Forschen so gar nichts zu tun haben, dann sage ich oft: Ich setze mich damit auseinander, wie Menschen hören, welche Klänge für sie im Alltag eine Rolle spielen, welche Affekte sie haben, wie sie mit den Klängen leben, in allen Bereichen, also sowohl im Arbeitsraum, im Persönlichen, im Intimen, Technischen, Künstlerischen, all diese Zusammenhänge spielen eine Rolle. Das ist gewissermaßen die einzige verbindliche Definition. Und dann gibt es natürlich dann auch noch die verschiedenen Richtungen: Die einen, die sich mit Klangkunst auseinandersetzen, andere mehr mit Sounddesign, wieder andere mehr mit den Klangtheorien, auch mit historischen Theorien, und so weiter. Ich erwähne das auch darum, weil mir scheint, dass etwas, was uns damals fast auch ein bisschen durch Zufall gelungen ist, in dem Team an der UdK – mit Breitsameter, Westermann, Bartos und mir – war, dass wir durch unsere Hintergründe so eine Vielfalt abbilden konnten und quasi das Abdriften, würde ich mal sagen, in eine Marginal- oder Partikularrichtung, so nach dem Muster: „Klang ist doch eigentlich immer Design, also nur noch Sounddesign.“ Oder: „Klang ist doch eigentlich immer historisch begründet, theoretisch, also vor allem Klangtheorie.“ Oder: „Klang es doch immer künstlerisch interessant, also muss es immer Klangkunst sein, immer ambitionierte Avantgardekunst.“ Oder: „Klang ist doch immer musikalisch verbunden, vielleicht auch immer Popmusik oder vernacular music related, also sprich: Muss immer mit Präsentationen und Performances zu tun haben.“ Diese Verengungen gibt es ja auch, die nehme ich jetzt auch oft wahr in Studiengängen, die eher in die eine oder mehr in die andere Richtung tendieren. Aber mir scheint, diese Gesamtheit gehört eigentlich zum Klangwahrnehmen dazu. Und ich glaube zum Erfolg der Sound Studies – national, aber auch international – trug und trägt vor allem bei, dass sie eben all diese Aspekte einbeziehen, also künstlerische, populäre, designerische, theoretische, historische. Die gehören alle für mich dazu – in verschiedener Gewichtung natürlich, je nach Thema. Aber ich würde ungern ein oder zwei davon als „Na ja, das ist eher nebensächlich, muss man sich nicht drum kümmern“, beiseite wischen. Die sind alle Teil davon.

Also ist es eine genuin interdisziplinäre Disziplin, kann man sagen, wenn man von Disziplin sprechen will? Das ja eben gerade keine Disziplin ist, sondern „Studies“ sind, wie Du gerade erklärt hast.

Als ich mit Jens Gerrit Papenburg an der Publikation zu dem Netzwerk arbeitete, an dem Research Companion namens Sound as Popular Culture, 2016 bei MIT Press, da haben wir in der Einleitung lange darum gerungen, wie wir denn die Disziplinfrage angehen, wie ist das jetzt zu benennen? Er war promovierter Musikwissenschaftler, ich war promovierter Literaturwissenschaftler, habilitierte Kulturwissenschaftler. Was ist es denn jetzt eigentlich? Und wir gingen da sogar noch einen Schritt weiter. Das finde ich auch nach wie vor eine sehr schöne Formulierung nach wie vor, die für mich auch nach wie vor stimmig ist, zu sagen: Es ist eigentlich eine „non-discipline“, weil es eben nicht darum geht, Forscher in einer Methode zu disziplinieren und zu unterrichten, sondern es ist ein Bereich, der an verschiedenen Disziplinen immer wieder andockt. Und ich finde immer amüsant, wenn bin ich junge Forscher oder auch ältere Forscher erlebe und die dann aus ihrer Disziplin über Sound reden und sagen: „Ja, ich mache ja auch Sounds, aber das ist was ganz anderes, weil ich bin ja Historiker, ich mache das ganz speziell so.“ Oder: „Ich bin Ethnologe, das ist was ganz anders. Ich mache das ja so.“ Oder der Literaturwissenschaftler macht das so, der Kunstwissenschaftler macht das so, der Ethnologe macht das so, der Religionswissenschaftler, die Religionswissenschaftlerin so, der Musikwissenschaftler so. In meiner Wahrnehmung sind all diese Aussagen korrekt und alle tragen zu den Sound Studies bei. Keine dieser Disziplinen kann wirklich sagen: „Na ja, wenn wir mal ehrlich sind, sind die Sounds nur bei uns beheimatet.“ Das höre ich aber oft. Und da finde ich es sehr interessant zu sagen: „Nee, eigentlich, ist das nicht korrekt. Sie sind wirklich eine „non-discipline“, die zwischen all diesen Disziplinen und tatsächlich noch viel mehr, die ich jetzt gar nicht erwähnt habe, aufgesetzt ist. Und das macht ihren Charme aus.

Gegenwart und Zukunft der Sound Studies

Wie würdest du denn die gegenwärtige Situation der Sound Studies beschreiben? Ich habe meiner Frage schon auch so ein bisschen Douglas Kahn im Hinterkopf, der ja auch eine wichtige Rolle für die Etablierung der Sound Studies gespielt hat und auch wegweisende Publikation geschrieben hat, zum Beispiel mit Wireless Imagination über Radio und Avantgarde Kunst und dann auch seine Publikation Noise Water Meat. Er meinte neulich nämlich, dass in den 1980er Jahren das alles noch ganz neu im englischsprachigen Raum war und heute, so ungefähr 40, 30 Jahre später, wären die Sounds Studies schon relativ saturiert oder vielleicht auch erschöpft als Forschungsfeld. Wie siehst du das? Wo geht die Reise hin? Ist da noch viel zu holen?

In meiner Wahrnehmung gibt es gerade extrem spannende Entwicklungen, die das Gegenteil von Saturiertheit sind. Wobei ich es auch sein kann, dass Douglas Kahn Saturiertheit nicht unbedingt nur negativ meint im Sinne von feist und zu dick geworden und behäbig, sondern vielleicht auch im Sinne von “saturated water”, also etwas, das angereichert ist, erschöpft bis zu dem Punkt, wo dann eigentlich nichts mehr geht. Das könnte man sagen. Ich kann das nachvollziehen, warum er das denkt. Und aus seiner Perspektive scheint es mir auch nicht unstimmig. Aus meiner Perspektive ist es so, dass jetzt, gerade in diesen Jahren, im letzten Jahr und in diesem Jahr, gerade Themen wie Dekolonisation, Anti-Racism und auch Anti-Sexism in den Sound Studies aufgegriffen werden. Wo ich gerade das Gefühl habe, das Feld beginnt eigentlich gerade erst wirklich nochmal dynamischer zu werden, weil es eben aus einer gewissen nordhemisphärischen, nordeuropäischen, nordamerikanischen Verankerung rauskommt und der ganze global South plötzlich noch mal ganz andere Themen einbringt, und auch gewisse heterosexistische, patriarchale Beschreibungen von so einer Klanggenealogie sich auch so ein bisschen abschwächen und plötzlich andere, weibliche, queere Stimmen auch eine größere Rolle einnehmen und sich das da gerade verändert. Das kann man gerne auch als ein Phänomen von Saturiertheit beschreiben. Ich sehe es aber als einen großen Entwicklungsschritt. Darum sind auch die drei interessantesten Bücher des letzten und diesen Jahr für mich definitiv Dylan Robinson Hungry Listening, über colonial settler listening, Re-Mapping Sound Studies von Jim Sykes und Gavin Steingo für eine Öffnung der Sounds Studies auf eine planetare Perspektive, und zuletzt dann, von einer sehr, sehr interessanten Literaturwissenschaftlerin, Person of Colour, Katherine McKittrick, Dear Science and other Stories, wo sie auch viel über den dekolonialen Black Studies Aspekt von Sound und Klangwahrnehmung und Selbstwahrnehmung schreibt. Das sind für mich die spannendsten Bücher, weil sie tatsächlich über traditionellere, etabliertere Verständnisse von Klangdesign und Klangtheorie noch einmal deutlich hinausgehen und das Situative, das Körperliche, das Affektive, das ich schon eingangs erwähnte, ganz massiv zur Geltung bringen und zeigen, wie kompliziert dieses Feld noch mal neu ist, nochmal anders ist.

Und wie siehst Du die Zukunft der Sound Studies? Wo geht die Reise hin Deiner Meinung nach?

Diese stärkere Verankerung von dekolonialen antirassistisch, antisexistisch Perspektiven, da bin ich mir definitiv ziemlich sicher, dass das noch mehr werden wird. Es gibt einen Aspekt, der mir als sehr wichtig und sehr interessant scheint, nämlich der tatsächlich in verschiedenen Studienprogrammen und Forschungsformaten mehr präsent zu sein. Also in ganz vielen Studiengänge, unseren einbezogenen, Musikwissenschaft, aber auch Geschichte, Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft, spielt Sound eine immer stärkere Rolle spielt, das ist das Eine, das meines Erachtens nach immer noch größer werden wird. Und zum Zweiten scheinen wir auch neue Formate sehr, sehr wichtig. Also da finde ich natürlich das Format des Audio Papers sehr interessant, das nebenan im schwedischen Lund Kollegen wie Sanne Krogh Groth, mit der ich auch das Handbook of Sound Art ausgegeben habe, entwickelt haben. Das ist ein Präsentationsformat, das – wenn man so will – sehr radiophon ist, sehr auditiv, das quasi behauptet und zum Anspruch hat zu sagen: „Naja, Argumentation geht nicht nur über Worte und Sätze und Argumente in Sprache, sondern eben auch durch Klänge.“ Und ich glaube, das ist tatsächlich eine sehr wichtige Entwicklung, dass wir auch dafür Raum schaffen. Und genauso wie es den Video- und Bildessay gibt und den Vortrag, der hauptsächlich aus Bilddarstellungen besteht, darf es auch Präsentationsformen in den Sound Studies geben, die hauptsächlich aus Klangdarstellungen, -aufnahmen, -produktionen bestehen. Das scheint mir eine sehr, sehr wichtige Entwicklung zu sein. Sehr wagemutig und interessant, aber ich finde das ist bei so einem Feld wie den Sound Studies natürlich auch eingeschrieben und angesagt. Das sind für mich die wichtigsten Entwicklungen, würde ich sagen.

Holgers Pläne und Projekte

Wir haben ja auch über deine eigene Entwicklung hin zur Anthropology of Sound gesprochen. Wie siehst du deine weitere Entwicklung, deine weiteren Interessen? Was würdest du gerne weiterverfolgen, ausbauen? Hast du bestimmte Projekte in der Richtung? Man könnte je denken: „Ah, jetzt ist sein Handbook of the Anthropology of Sound draußen und die Sonic Persona. Das war grundlegend. Was kann da jetzt noch kommen?“ Was möchtest Du selber im Feld der Sound Studies noch bewegen, wie dich darin positionieren?

Da kann ich fast nur noch an das anschließen, was ich zuvor schon sagte: Auch da ist mir sehr wichtig, tatsächlich wie Dekolonialisierung des Feldes weiterzutreiben. Das spielt schon eine Rolle in dem Anthropology of Sound Handbook und die nächsten Konferenzen oder Tagungen möchte ich auch gerne in dieser Richtung noch stärker akzentuieren. Das heißt auch, dass ich einige Forschungsthemen habe, die noch konkreter und exemplarischer das Thema weiter öffnen. Ich habe auch ein Projekt mit Kollegen hier vom Design Research und von der künstlerischer Forschung in Aarhus, wo es darum geht Sprachassistentinnen zu erforschen in ihrer Wirkung und auch in ihrer anthropologischen hörbaren Verankerung. Das ist ein Projekt, was ich verfolge. Ein anderes Projekt geht in eine ganz andere Richtung und hat sich jetzt auch während der Pandemie entwickelt, das ist das Projekt zum Thema „meme music“, also digitale, oder man könnte fast sagen post-digitale Formen der Alltagskommunikation durch audiovisuelle Formate wie die Memes darzustellen und zu zeigen, wie sie auch ein Teil unseres Alltags begründen. Und da ist der Untertitel quasi eine „Anthropology of a Sonic Vernacular“, also eine klangliche Alltagssprache, die hier entsteht, scheint mir. Das ist so etwas, was mir gegenwärtig unterschätzt scheint, wo aber Memes eine wichtige Rolle spielen, und zwar noch komplexer, als sie vielleicht auf den ersten Blick erscheinen und was für mich auch eindeutig eine anthropologische Grundlage hat. Das sind zwei große Projekte. Und darüber hinaus tatsächlich auch das Thema der Klangkunst, das hatte ich ja mit Susanne Krogh Groth entwickelt, da bin ich auch mit anderen Kollegen am Vorbereiten einer Buchreihe, wo ich tatsächlich auch einen Band zu Art Knowledge herausgeben will, Kunst und Wissensformen, was tatsächlich auch den dekolonialen und einen global South Aspekt noch viel stärker macht, also da auch den Diskurs noch breiter macht und auch da weiterhin arbeitet in die Richtung, einfach auch von einer Verengung auf ein paar nord- und mitteleuropäische Länder, das noch weiter aufzubrechen, und da am Ende auch Sound Studies und den Diskurs über Klangkunst, den es ja weltweit gibt, auch so sichtbar zu machen in der Forschung und dort auch Forschungsrichtungen ganz stark zu unterstützen, das sind definitiv Dinge, die mich gegenwärtig interessieren. Das überspannt jetzt, wenn ich so in die Zukunft gucke, wahrscheinlich die nächsten fünf, sechs Jahre. Was danach kommt, weiß ich selber jetzt noch nicht, das wird man dann sehen. Aber das ist der Horizont, in dem ich jetzt gerade arbeite.

Also Du hast du erstmal noch genug zu tun.

In der Tat. Ja, einiges.

Schwer erträgliche Sounds

Super. Ja, zum Abschluss die Frage: Gibt es einen Sound, den du überhaupt nicht leiden kannst oder nicht hören kannst/magst/willst?

Das ist schwierig, weil viele Klänge, selbst schwer erträgliche Klänge, dann doch auch so eine ästhetische Seite haben können, und eben auch eine reflektierte Seite, eine theoretisch- historisch interessante Seite, dass ich denen was abgewinnen kann. Aber zwei Klänge sind mir dann doch eingefallen, die tatsächlich ziemlich unerträglich sind, und das ist vielleicht auch charakteristisch, warum die so unerträglich sind. Das eine ist tatsächlich, wenn eines unserer Kinder, aus für mich vielleicht nicht erkennbaren Gründen in Tränen aufgelöst ist und weint. Das ist eine Anspannung, und manchmal auch ein bisschen eine Ratlosigkeit, aber – klar, man tröstet, man ist elterlich dabei, man kümmert sich, aber das ist schon sehr schmerzhaft. Das empfinde ich als sehr, sehr schmerzhaft, weil ich eben natürlich als Elternteil zwar viel tun kann, aber es natürlich nicht einfach abschalten kann. Nicht im Geringsten. Und das ist eine Spannung, die vielleicht lange auch unaufgelöst bleibt, weil der Konflikt vielleicht bestehen bleibt, der dahintersteht. Das finde ich extrem schmerzhaft. Und das zweite Beispiel ist etwas ganz anderes, aber ist auch eine ähnlich unauflösbare oder unaufgelöst Spannung, die für mich viele oder manche Gespräche in den letzten zwei Jahren betraf. Und zwar manche Situation, wenn wir online miteinander kommunizieren, etwa über Zoom oder andere Plattformen und dann aufgrund verschiedener Gründe schlechte Technik, schlechte Verbindung, ungewohnter mit der Technik plötzlich die Kommunikation eines Teilnehmers so schwer verständlich wird – sei es durch ein Sprechen zu sich selbst, zu sehr mit sich selber beschäftigt, sei es durch schwaches Mikrophon, durch zerhackte Stimme – manchmal lässt sich das auch nicht auflösen. Und Du möchtest jemand auch nicht abwürgen oder belehren darüber und man muss es manchmal dann in der Situation einfach ertragen, weil die Kommunikation wichtig ist, aber man kann es kaum verstehen und man muss irgendwie durch die 128mal pro Sekunde zerhackten Worte irgendwie durchkommen und verstehen, was die Person meint. Es ist ganz, ganz schwer, aber es gibt auch nicht wirklich einen einfachen Weg, das aufzulösen, außer zu sagen: „Wir beenden das jetzt. Tschüss.“ Und das möchte man manchmal nicht. Das empfinde ich auch als extrem schmerzhaft und unerträglich. Weniger jetzt wirklich so rein physiologisch als – auch wie im Fall des Weins unserer Kinder – eher auf der körperlichen, affektiven, relationalen Ebene, weil ich eben in diesem Schmerz, in der Spannung bin, dass ich mit dieser Person kommunizieren möchte, es nicht kann, es auch so schnell nicht wieder tun werde, und das ist eine unaufgelöste Spannung. Aber auch hier kann ich wieder den Bogen machen zum Eingangsthema: Das sind Klänge, die für mich negativ oder abgelehnt sind, nicht weil sie jetzt zu laut sind oder einen bestimmten Frequenzgang abbilden oder so, sondern weil sie auf einer affektiven Ebene bestimmte Dinge enthalten, die für mich unerträglich sind und die diese Beziehung zu diesem Menschen eben auch als kommunikativ gerade sehr schwer gestalten und den Austausch sehr, sehr schwer machen.


Bibliographie:

Karin Bijsterveld & Trevor Pinch: „Sound Studies: New Technologies and Music“

Douglas Kahn: Wireless Imagination. Sound, Radio and the Avant-Garde. MIT Press 1992.

Douglas Kahn: Noise, Water, Meat. A History of Sound in the Arts. MIT Press 1999.

Katherine McKittrick: Dear Science and other Stories. Duke University Press 2021.

Dyland Robinson: Hungry Listening. Resonant Theory for Indigenous Sound Studies. University of Minnesota Press 2020.

Holger Schulze: Das aleatorische Spiel. Theorie der Werkgenese. Wilhelm Fink Verlag 2000.

Holger Schulze: Intimität und Medialität. Avinus Verlag 2012.

Holger Schulze und Jens Gerrit Papenburg (Hrsg.): Sound as Popular Culture. MIT Press 2016.

Holger Schulze: The Sonic Persona. An Anthroplogy of Sound. Bloomsbury Academic 2018.

Holger Schulze: Sonic Fiction. Bloomsbury Academic 2020.

Holger Schulze & Sanne Krogh Groth (Hrsg.): The Bloomsbury Handbook of Sound Art. Bloomsbury Academic 2020.

Holger Schulze (Hrsg.): The Bloomsbury Handbook of Anthropology of Sound. Bloomsbury Academic 2021.

Jim Sykes und Gavin Steingo: Re-Mapping Sound Studies. Duke University Press 2019.